XIII

 

  Das Jahr 2012, versprach von Anfang an leichter zu werden, als das vergangene. Langsam wurde ich mir meiner selbst wieder sicherer. Jeder mehr oder weniger unauffällige Kontrolltermin, den ich mit der Zeit hinter mich gebracht hatte, schenkte mir ein gewisses Maß an Stabilität. Aber nach jeder Untersuchung steht auch schon bald der nächste Termin an und bringt erneute Unsicherheit mit sich. Am liebsten wäre es mir, wenn ich zwei große Kliniktage im Jahr anstehen hätte, an denen alle nötigen Kontrolluntersuchungen unter einem Dach absolviert werden könnten. Dies würde uns Betroffenen viel Zeit schenken und vor allem - unsere Nerven schonen. Anfang Mai 2012, hatte ich meine mittlerweile vierte Zometainfusion, erfolgreich hinter mich gebracht. Auch diese Infusion, schenkt mir ein gewisses Maß an Sicherheit, neben allen anderen Therapien. Erste Schritte meinen Sohn auf das Internat nach den Sommerferien vorzubereiten, waren in vollem Gang und forderten viel Zeit und Raum. Das Gefühl großer innerer Dankbarkeit es bis hierher geschafft zu haben, ist kaum zu beschreiben. Morgens zunehmend mit einem Lächeln im Gesicht aufzuwachen und der erste Gedanke eines Tages nicht mehr der Tatsache galt, dass ich Krebs hatte, verflüchtigte sich zusehends. Wenn mir der Umstand dessen, dass ich an Krebs erkrankt war, dennoch stets gegenwärtig ist. Aber in einer leichteren Form. Dafür ist heute einfach zu viel anders in meinem Leben. Ich bin zunehmend zur Ruhe gekommen in den vergangenen Monaten und habe angenommen, was nicht zu ändern ist. Betrachte mich bis auf Widerruf als gesund, wenn auch nicht als geheilt. Hoffe dem Schreckgespenst Krebs, für immer entkommen zu sein.

 

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 Um Christi Himmelfahrt herum, erhalte ich einen Brief aus Köln. Mein Testergebnis ist da. Für den 30. Mai 2012, um 15:00 Uhr, vereinbare ich einen Termin in Köln. Wieder einmal Mai. Mein Schicksalsmonat...

 Ich weiß ja, dass man mir am Telefon keine Auskunft über das Ergebnis mitteilen darf, dennoch frage ich die Sekretärin, ob es angeraten ist, in Begleitung zu dem Termin zu erscheinen oder ob ich wie geplant, alleine kommen könne? Mit meinen detektivischen Fähigkeiten, komme ich leider nicht weit bei ihr und ihrem Rat, dass es bei wichtigen Terminen doch immer angeraten sei, jemanden zur Unterstützung bei sich zu haben? Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass mein Ergebnis irgendwo in der Kölner Klinik abgelegt ist und ausgerechnet ich es nicht kenne. Nachdem ich das Telefonat beendet habe, ist mir fürchterlich übel und es kribbelt alles in mir. Nutzt alles nix, jetzt gilt es Nerven zu bewahren und auf das Beste zu vertrauen. Da ab Ende Mai Pfingstferien in Bayern sind und es sich nur schwer absehen lässt, wann ich aus Köln von meinem Termin zurück in Aschaffenburg eintreffen werde, organisiere ich für Justin eine Betreuung über Nacht. Aufgeregt teile ich Doris am Telefon mit, dass mein Ergebnis aus Köln endlich da ist. Sie möchte es sich nicht nehmen lassen und gemeinsam mit mir nach Köln fahren.

 

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 Im Mai 2012, feierte Eva ihren ersten besonderen Geburtstag, nach der Diagnose Brustkrebs. Ein Jahr, in dem sie eine ihr alles abverlangende Therapie hinter sich brachte und so vieles mehr. Mit Freunden, Familie und einem Fernsehteam, welches sie im Rahmen einer Dokumentation über Aluminium und seinen Auswirkungen für Mensch und Umwelt begleitete in den vergangenen Wochen, feierten wir gemeinsam diesen besonderen Tag. Welch ein Leuchten und Strahlen von ihr ausging.

 An ihrem kurzen Schopf lässt sich erahnen, dass ihre neuen Haare sich locken werden. Eva gibt mir beim Verabschieden mit auf den Weg, dass der Test wie auch bei ihr, negativ ausfallen wird. Schließlich hätte ich ja nur mit einer sehr kleinen Wahrscheinlichkeit zu rechnen positiv getestet zu werden, wie im Gegensatz zu ihr und manch anderen betroffenen Frauen, die wir beide kennen. Ich bin am Unken:„Wartet es nur ab - auch wenn ich mit einer geringen Wahrscheinlichkeit BRCA zu haben rechnen kann, würde es mich nicht wundern, wenn es ausgerechnet mich trifft. Es sind jetzt schon so viele von uns durchgewunken worden – eine von uns, muss es ja treffen!“ Es ist einfach mal wieder so ein blödes Bauchgefühl, tief in mir drinnen....

 

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 Doris hat es sich tatsächlich nicht nehmen lassen, uns beide sicher nach Köln zu fahren. Die Fahrt wurde uns nicht lang, gibt es doch eine Menge unter Freundinnen zu bereden. In der Klinik angekommen, galt es erst einmal, sich zu orientieren. Gar nicht so einfach, sich in derart großen Zentren zurechtzufinden. So warteten wir zu Anfang im regulären Brustzentrum, ehe wir die richtige Anlaufstelle genannt bekommen. Mit Doris an meiner Seite, betrete ich das Besprechungszimmer. Eine junge Ärztin stellt sich uns vor und setzt sich uns gegenüber. Jung, lange dunkle Haare, sehr klein und zierlich. Nach wenigen Worten unterbreche ich ihre Einleitung und bitte sie mir zu sagen, was sie mir zu sagen hat. Alles an ihrer Stimme, ihrer Mimik und ihrer Gestik verrät mir, dass ich wieder einmal die Arschlochkarte gezogen habe. Sie hält inne, nimmt Anlauf und schaut mir in die Augen, während sie mir eröffnet, dass ich auf BRCA2 positiv getestet wurde. Doris hält meine Hand, als mir innerlich alles entgleitet und mein Magen seine Achterbahnfahrt in rasantem Tempo, talwärts nimmt. Mir ist übel, mir ist kalt, mir ist heiß und der Raum verliert seine Konturen. Aber das kenne ich ja schon...

 

,,Ich will hier weg!", schreit es in mir!!!!!

 

 Nicht weinen, ermahne ich mich stattdessen - du musst dich jetzt um Himmels willen konzentrieren. Also versuche ich Fragen in meinem Kopf zu formulieren, die gestellt werden müssen. Versuche zu verstehen, das ich positiv getestet wurde. Dabei fühle ich mich zutiefst verraten vom Schicksal...

 

 Frau Dr. H erläutert mir anhand von Auswertungen und meines Familienstammbaums, welche Genabschnitte an mir getestet wurden, an welcher Stelle ich positiv getestet wurde, mit welcher Wahrscheinlichkeit ich rechnen muss, erneut im Laufe der kommenden 25 Jahre an Brustkrebs zu erkranken, wer in der Familie alles informiert und wer sich als nächstes testen lassen sollte. An dieser Stelle, wären als nächstes meine Eltern dran. Es galt nun herauszufinden, von wem ich das defekte Gen geerbt habe.

 Vermutlich von meinem Vater. Von Seiten meiner Mutter, wage ich es zu bezweifeln. Wir sind viele Frauen in der Familie der mütterlichen Linie und seit den 70ern bin ich die erste, die an Brustkrebs erkrankt ist. Bei uns in der Familie, überwiegen eher Herzerkrankungen. Von der familiären Seite meines Vaters weiß ich einfach zu wenig. Meine Mutter hat seit einigen Monaten selbst enorme gesundheitliche Probleme, über die ich mir große Sorgen mache. In absehbarer Zeit wird ihr auf Grund dessen, eine Fahrt nach Köln wohl kaum möglich sein. Würde sie sich testen lassen und dieser Test würde negativ ausfallen, müssten sich viele Frauen in unserer Familie keine Gedanken machen, einschließlich meiner jüngsten Schwester, die einen anderen Vater als meine beiden anderen Geschwister und ich hat. Bislang betrachtete meine Familie meine Brustkrebserkrankung als mein Problem. Jetzt ist es auch ihres. Das wollte ich nicht. Meine Geschwister und ihre Töchter - oh mein Gott!!!

 Jeder eventuelle Träger in unserer Familie, vererbt mit einer 50% Wahrscheinlichkeit dieses defekte Gen an seine Kinder. So tragen meine Schwestern als auch mein Bruder mit einer 50% Wahrscheinlichkeit, dieses Gen in sich. Zusammen haben sie fünf Töchter. Falls einer von ihnen positiv oder gar alle drei positiv sein sollten, überträgt sich deren defektes Gen mit einer erneuten Wahrscheinlichkeit von 50%, auf diese fünf Mädchen. Eine aufgereihte Perlenkette des Unglücks...

 

 Zur Sicherheit, würde man mir heute eine zweite Blutprobe entnehmen und den Test erneut durchführen. Innerhalb der nächsten 14 Tage, müsste ich das Ergebnis vorliegend haben. Ich frage die Ärztin, wenn ich im ersten Test negativ getestet worden wäre, würde ich dann ebenfalls ein weiteres Mal zur Sicherheit getestet werden? Nein, lautet ihre direkte Antwort. Also, finde dich ab Mädel - du bist eine Mutantenbraut, hämmert es in meinem Kopf... Die erste operative Möglichkeit, die mir die Ärztin nennt, ist die prophylaktische Mastektomie beider Brüste. Genau das, was ich nicht möchte. Der Schritt, der mir so große Angst macht. Für diesen Schritt brauche ich einfach mehr Zeit, fühle ich in mir. Ein Schritt, der mir dermaßen gewaltig erscheint. Ich möchte weder Silikon in meinem Körper, noch mir Brüste aus einem anderen Körperteil basteln lassen. Noch mehr Narben, noch mehr Schmerzen und Risiken. Wenn, dann den Mut finden und beidseitig ohne Brüste durchs Leben gehen. Ein Mut, der mir derzeit einfach noch fehlt! Meine Brüste...

 Wenn ich doch nur bereits 2010 von dem Gen-Defekt gewusst hätte. Dann hätte meine damalige Entscheidung in Bezug brusterhaltende Operation, anders ausgesehen. Und ich hätte mir fast zwei Jahre Zoladex ersparen können, die monatliche Spritze zur Ruhigstellung meiner Ovarien, mit ihren heftigsten Nebenwirkungen. Mir meine Ovarien entfernen zu lassen, lautet der zweite Vorschlag. Über beide Optionen der operativen Möglichkeiten, wusste ich im Vorfeld. Sollte es so sein, dass der Test positiv ausfallen würde, wird die Entfernung meiner Ovarien meine erste Entscheidung sein. Darüber hatte ich mir die entsprechenden Gedanken bereits vor dem Test im September letzten Jahres gemacht. Alleine schon aus dem Grund, dass Eierstockkrebs oftmals viel zu spät erkannt wird, trotz gynäkologischer Vorsorgeuntersuchungen, die viele Frauen in falscher Sicherheit wiegen und dessen Folgen oftmals noch gravierender ausfallen, als Brustkrebs durchstehen zu müssen. Und an Brustkrebs zu erkranken, ist schon schlimm genug!

 

Es gibt KEINE tatsächliche Früherkennung für Eierstockkrebs!

 

 Auf Grund dessen, dass ich mich dazu entschlossen hätte meine Ovarien entfernen zu lassen, würde ich mein Risiko von circa 45% in den kommenden Jahren an der gesunden Brust zu erkranken, um etwas über die Hälfte reduzieren, erläutert mir die Ärztin. Da ich derzeit eine Antihormontherapie durchstehe, würde dies in Kombination mein Risiko erneut zu erkranken, ebenfalls drastisch senken. Sie versichert mir mehrfach, dass ich mit dieser Operation, einiges für den Erhalt meiner Gesundheit tun würde. Alleine diesen Schritt zu gehen, wird hart werden. Ich werde den Rest meines Lebens, ohne weibliche Hormone auskommen müssen. Die intensivierte Nach- und Früherkennungsuntersuchungen, sollte ich nicht vergessen, erläutert mir die Ärztin. Das engmaschige Früherkennungsprogramm, bietet ebenfalls ein gutes Auffangnetz, um gegebenenfalls rechtzeitig reagieren zu können. Hm - was ist rechtzeitig bei Krebs, frage ich mich. Krebs, stellt doch immer etwas mit einem Betroffenen an... Das Früherkennungsprogramm, beinhaltet einmal im Jahr ein MRT der Brust und beidseitige Mammographien, in Verbindung einer sonographischen Untersuchung, plus einer darauffolgenden, halbjährlichen sonographischen Untersuchung, mit gleichzeitiger Tastuntersuchung der Brüste. Dies hätte sich als das beste Vorsorgemodell für genetisch bedingten Brustkrebs etabliert. Auf Grund der Situation mit Justin ist es mir jedoch nicht möglich, mehrmals im Jahr nach Köln zu fahren und das Ganze für den Rest meines Lebens durchzuorganisieren. Eine Wahnsinnsvorstellung - unendlich viele Kilometer reihen sich gedanklich vor mir auf, unendlich viele Untersuchungen die vor mir liegen. Ein Tourismus der besonderen Art.

 

Jetzt diene ich erneut als eine weitere, unglückliche Statistikfüllerin, huscht es durch meine Gedanken...

 

 Die Operation der Ovarienentfernung, wie auch die weiteren Vorsorgeuntersuchungen, werde ich aus organisatorischen Gründen in Frankfurt vornehmen lassen. Die Ärztin rät mir jedoch dringend dazu, erst das Ergebnis des zweiten Gentests abzuwarten, ehe ich weitere Schritte einleite, da ich aus rechtlichen Gründen vorher keine Operation vornehmen lassen dürfte. Dass die Ärzte meiner Wunschklinik, meine Ovarien mit sogenannten Bergebeuteln aus dem Bauchraum entnehmen, den Bauchraum spülen und histologisch auswerten sollten, gibt sie mir als Tipp mit auf den Weg. Ich unterschreibe im Beisein der Ärztin Erklärungen und dass meine relevanten Befunde an entsprechende Stellen weitergegeben werden dürfen, wie zum Beispiel an anfragende Ärzte und Kliniken meiner Verwandten, da ich nun als Indexpatientin geführt werde. In einem Vorraum lasse ich mir für die Gegenprobe, Blut abnehmen. Benommen verlasse ich mit Doris im Anschluss die Klinik und lasse ersten Tränen freien Lauf...

 Doris ihre Mama, nimmt mich bei unserer Ankunft in den Arm und versucht zu trösten, als sie versteht, dass wir keine erfreuliche Nachricht aus Köln mitgebracht haben. Bevor ich von Doris aus in Richtung Heimat starte, informiere ich meine Mutter über den Ausgang des Tests und welche weiteren Schritte nun nötig sind. Meine Mama ist zutiefst schockiert, ganz ähnlich wie ich. Sie hofft und vertraut darauf, dass der erste Test falsch positiv ist. Bis ich erneut von meiner Mutter höre, vergehen bald zwei Wochen. Kein schönes Gefühl in der Zwischenzeit!

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 Nachts schreibe ich meinen Schwestern eine Mail und informiere sie über das Ergebnis des Tests. Nenne ihnen alle relevanten Sachverhalte, soweit ich es an diesem Tag in der Klinik verstanden habe. Nenne ihnen Anlaufstellen zur weiteren Informationseinholung und der Möglichkeiten, die ihnen diesbezüglich offen stehen. Stelle ihnen Links und Adressen im Internet zur Verfügung, damit sie nicht groß suchen müssen. Wie teilt man etwas mit, was so grausam anmutet? Ich halte mich an Fakten fest, die ich an meine Schwestern weitergebe. Ich hoffe, sie treffen die richtige Entscheidung für sich. Hoffe für sie, dass ihnen das Los BRCA2, erspart bleibt.

 Ja, die Reaktionen. Ich habe lernen müssen, dass nicht Wissen wollen, auch ein Recht ist. Meine Schwester Mela teilt mir relativ umgehend mit, dass sie diesen Test nicht durchführen lassen wird mit der Begründung, dass da schon nichts sei. Also erläutere ich ihr erneut an Zahlen und Fakten, warum es gerade für sie besonders wichtig ist, sich testen zu lassen. Nenne ihr nochmals die bekannten Anlaufstellen zum Hinterfragen und besseren Verstehens. Zu einem späteren Zeitpunkt, ließ sie sich in Heidelberg testen. Zum Glück sind meine beiden Schwestern, keine Genträgerinnen!

 Meine Familie verstand grundsätzlich nur schwer, welches Risiko mit BRCA für die betroffenen Familien einhergeht. Sie missverstanden Informationen und gaben diese unter sich falsch weiter. Stellenweise haben mir die Haare zu Berge gestanden über manches Gerücht, welches sich im familiären Umlauf befand.

 

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 BRCA2 geht unter anderem mit einem erhöhten Risiko für Hautkrebs, Magen- Darm und Bauchspeicheldrüsenkrebs, sowie Prostatakrebs einher. Ach ja, und Männer können ebenfalls an Brustkrebs erkranken. Nur mal so als Info. Im Jahr erkranken aktuell circa 700 Männer in Deutschland an Brustkrebs. Mit ein Grund, warum ich am darauffolgenden Tag meinen Onkologen anrufe und ihn über den neuen Sachverhalt informiere, damit meine onkologische Vorsorge in der Zukunft entsprechend erweitert wird. Wenn es nun mal ist wie es ist, will ich die Marschrichtung vorgeben und die Möglichkeiten nutzen, eventuelle Gefahren abzuwenden und dem Scheißkrebs zuvorkommen.

 

Der kann mich mal, der Scheiß Arschlochkrebs! Wie ich ihn hasse...

 

 Meine Psychoonkologin rufe ich erstmals nach langer Zeit an und vereinbare einen Auffangtermin. Mir tut alles weh. Meine Seele, mein Körper. Die Angst um mein Leben ist wieder da. Mit voller Wucht! Mein mentales Gleichgewicht, erneut verloren...

 

 Krebs - ein scheinbar lebenslängliches Thema für mich. "Ich hab lebenslänglich!", schreit es in mir. Irgendwie wird es nie aufhören - keine vorzeitige Entlassung aus dem Krebsknast in Aussicht!

 

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Am 12. Juni, nehme ich den Termin zur Beratung in der Frankfurter Klinik wahr. Die Ärztin, die mit mir das Aufklärungsgespräch führt, erkennt mich als Patientin sofort wieder, als ich auf dem Flur der Station warte. Es fühlt sich gut an, keine gesichtslose Patientin zu sein. Ich erkläre ihr dennoch alles relevante zu meiner Person und zur jüngsten Diagnose BRCA2, welche Operation auf Grund dessen angeraten ist und frage auch nach dem Verfahren hinsichtlich des Bergens meiner Ovarien, die mir laut Empfehlung der Ärztin aus Köln, genannt wurde. Sie erläutert mir, dass dieses Verfahren ohnehin gängig sei an der Klinik und telefoniert in meinem Beisein, mit Frau Dr. H. in Köln.

 Noch immer halte ich nicht das Testergebnis der Kreuzprobe aus Köln in meinen Händen; das macht mich zusehends nervös. Die Ärztin sieht darin jedoch kein Problem. Einen Operationstermin könne ich auch kurzfristig absagen, falls der Test doch negativ ausfallen sollte, wovon wir beide nicht ausgehen. Sie erklärt mir die Vorgehensweise des Eingriffs und rät mir dazu, Justin für wenigstens 14 Tage in der Lebenshilfe betreuen zu lassen, damit ich ausreichend Erholung von der Operation finde. Den Operationstermin vereinbaren wir für Montag, den 25. Juni 2012. Blutbild und Vorgespräch mit dem Anästhesisten, könne ich ausnahmsweise schon heute absolvieren. Jetzt habe ich einen Termin für die anstehende Operation und bin für mich ein kleines Stück ruhiger. Alles weitere ist auf den Weg gebracht und ich kann erneut nur hoffen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe - und vor allem, dass meine Eierstöcke gesund sind. Sie in der Zwischenzeit keine ungewollten Kapriolen, gewagt haben. Wenn ich nur nicht so lange auf das Ergebnis des Tests hätte warten müssen. Acht Monate...

 

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 Wenn sich eine junge Frau, auf Grund von entsprechenden Vorfällen in der Familie auf BRCA testen lässt und dieser Test positiv ausfällt, sie bislang jedoch gesund ist, sehen die Empfehlungen in der Regel ähnlich wie bei mir aus. Der offensichtlichste und drastischste Schritt ist die Empfehlung, sich beide Brüste operativ entfernen zu lassen. Für eine bislang nicht erkrankte Frau, liegt das Risiko bei circa 80% in den kommenden Jahren an Brustkrebs zu erkranken. Man neigt heute eher dazu, dieses Risiko nach oben zu korrigieren. Das Risiko mit BRCA1 an Brustkrebs zu erkranken, liegt etwas höher als mit BRCA2. An Eierstockkrebs zu erkranken, liegt das Risiko mit BRCA2 bei circa 20% bis 40%, mit BRCA1 bei 40% bis 65%. Somit geht es weniger darum ob man erkrankt, sondern vielmehr wann. Welche Entscheidung eine betroffene Frau für sich selbst findet, kann nur sie selbst treffen. Wagt sie operative Schritte oder stützt sie sich auf die umfassenden Früherkennungsprogramme und versucht darauf zu vertrauen, nicht zu erkranken? Circa 70% der betroffenen Frauen vertrauen derzeit auf das intensivierte Früherkennungsprogramm und etwa 30% wagen die prophylaktische Brustdrüsenentfernung.

 Gerade die genetisch bedingten Brustkrebserkrankungen, sind die besonders aggressiven Erkrankungen. Deren Tumore sich zudem bei bildgebenden Verfahren, oft als gutartig oder nur sehr schwer auffindbar darstellen. So wie auch ein dichtes Brustdrüsengewebe, ein Indikator für eine genetische Disposition sein kann. Im Nachhinein hatte ich großes Glück im Unglück, dass meine Tumore überhaupt gefunden wurden, damals, nach der ersten Mammographie im April 2010.

 

 Die speziellen Vorsorge- und Nachsorgeuntersuchungen, können einer Frau psychisch auf Dauer zusetzen. Ein nicht unerheblicher Faktor, den viele zu Anfang ihrer Reise mit BRCA, unterschätzen. Ebenso den Schritt letztendlich zu der Entscheidung zu treffen, sich tatsächlich operieren zu lassen oder überhaupt erst einmal den Mut zu finden, sich testen zu lassen. Zumeist sind junge Frauen mit dieser Entscheidungsfindung betroffen. Junge Frauen, die gerade erst im Berufsleben starten, eine Familie gegründet haben oder deren Familienplanung erst noch starten soll. Viele dieser Frauen, haben von nahen Angehörigen deren Erkrankung und oft deren Sterben erlebt.

 Welcher Weg auch immer gewählt wird, er sollte umfassend überlegt und gut betreut werden. Dieser Weg kann mit Hilfe von therapeutischer Unterstützung, begleitet werden. Auch das Gespräch mit Frauen, die diesen Weg bereits gegangen sind, kann bei einer Entscheidungsfindung helfen.

 Mit einer prophylaktischen Brustdrüsenentfernung, kann eine Frau das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, drastisch reduzieren. Frauen, die bislang nicht erkrankt, aber positiv getestet wurden, wird ebenfalls die Empfehlung ausgesprochen, sich spätestens um das 40. Lebensjahr herum, ihre Ovarien entfernen zu lassen. Auch hier spielt die familiäre Belastung eine Rolle. Gibt es viele Eierstockkrebsfälle in der Familie, wird man einer jungen Frau die Empfehlung aussprechen, sich ihre Ovarien früher entfernen zu lassen. Das Risiko zu erkranken, nimmt 5 Jahre vor dem Erkrankungsalter der jüngst betroffenen Frau in der Familie, drastisch zu. Ganz gleich, ob Eierstock- oder Brustkrebs. Die betroffenen Frauen haben jedoch den großen Vorteil gegenüber den bereits Erkrankten, nach der operativen Entfernung ihrer Ovarien, eine leichte Hormonersatztherapie zu nutzen, um nicht von eben auf jetzt in die Wechseljahre katapultiert zu werden.  Eine von BRCA betroffene Frau oder Familie, hat somit durchaus die Möglichkeit, sich vor einer Krebserkrankung zu schützen. Aber einen solchen Weg zu beschreiten, ist alles andere als leicht...

 

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 Meine Mutter, ruft mich nach scheinbar endlosen Tagen des Schweigens an. Noch immer sichtlich geschockt über die Diagnose und deren Auswirkungen. Sie ist entsetzt als sie von mir erfährt, dass ich bereits einen Termin zur Entfernung meiner Ovarien ausgemacht habe. Entsetzt, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, mir beide Brüste amputieren zu lassen.

 Weil – was wenn doch? Die Vorstellung erneut an Krebs zu erkranken, ist grauenhaft. Ich habe Angst... Liege nachts in meinem Bett und finde kaum Schlaf. Und was wird aus Justin? Habe ich ihm dieses Gen womöglich vererbt? Wie kann ich ihn schützen? Er, der doch noch so jung ist! Und wer passt auf ihn auf, wenn ich nicht mehr bin? Denn ganz gleich wie niedrig ein Restrisiko für mich sein mag - es nutzt mir nichts, wenn ich letzten Endes auf der falschen Seite der Statistik stehe - und auf welcher Seite ich letzten Endes stehe, kann mir derzeit kein Arzt der Welt sagen. Aber in mir liegt auch die beruhigende Gewissheit, dass ich definitiv keine wie auch immer geartete Schuld oder Verantwortung trage, auch nur irgendetwas in meinem Leben falsch gemacht zu haben und somit unwissentlich einen Krebs in mir herangezüchtet zu haben, wie mir so oft gesagt wurde. Und von daher:

 

Tschakka...ihr könnt mich mal, ihr Karma-Kenner!!!!

 

 Meine Mutter plagen fürchterliche Schuldgefühle. Sie befürchtet, dass ich BRCA von ihr vererbt bekommen haben könnte. Dabei braucht sie sich nicht schuldig zu fühlen. Es geht in keinster Weise um Schuld bei dem ganzen Scheiß. Es ist halt einfach so. Von dem defekten Gen zu wissen, gibt mir die Möglichkeit in die Hand, aktiv für mich und den Erhalt meiner Gesundheit, dem Krebs einen Schritt voraus zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das defekte Gen von meinem Vater vererbt bekommen habe, sehe ich als weitaus wahrscheinlicher an. Und auch bei meinem Vater handelt es sich nicht um Schuld. In dieser Richtung bin ich mit mir im Reinen.

 Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte einen negativen Befund erhalten. Hätte für meinen Körper keine weiteren Entscheidungen treffen müssen und ich dieses Thema einfach nur loslassen hätte können, weil meine Gene „normal“ sind und nicht derart kaputte Lebensbausteine beinhalten. Dennoch sollte meine Mutter sich in ihrem eigenen Interesse testen lassen, wie ihr von meinen Ärzten angeraten wird. Sie verspricht mir dies zu tun, sobald sie sich gesundheitlich erholt hat. Sie ist so unendlich traurig über das Ganze und ich weiß nicht, wie ich sie trösten soll. Ich erkläre ihr erneut alles Relevante zu BRCA2 und hoffe sehr, dass sie diesmal alle Informationen richtig verstanden hat. Da meine Mutter das zweite Testergebnis wie verabredet, nicht abgewartet hatte und meine Diagnose in der Familie bereits die Runde gemacht hat, setze ich mich am Abend an mein Laptop und schreibe eine Mail an alle Familienmitglieder, die informiert sein müssen.

 

 In einem Ratgeber heißt es, dass das Mitteilen über die Diagnose BRCA sehr schwer sei und empfiehlt eine Briefform zu wählen. Echt jetzt? Es ist wirklich schwer...

 

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 Der Arztbrief mit der bestätigten Diagnose aus Köln, erreichte mich rechtzeitig wenige Tage vor der Operation, so dass der Eingriff wie geplant durchgeführt werden konnte. Zwei Tage nach der Operation, bin ich bereits wieder Zuhause. Noch arg mitgenommen, aber innerhalb meiner eigenen vier Wände. Und vor allem: Der histologische Befund war frei von Krebszellen. Eine Sorge weniger...

 Nichtsdestotrotz bin ich noch immer zutiefst erschüttert, dass ich BRCA2 positiv bin, das meine Ovarien zu meiner eigenen Sicherheit entfernt wurden und mir in irgendein obskures Nirwana, vorausgegangen sind. Ich so was von definitiv keine Kinder mehr bekommen kann, wird mir in diesen Tagen äußerst schmerzhaft bewusst. Ich mag am liebsten in Selbstmitleid ertrinken und mein ungeborenes Baby beweinen, das ich mir über viele Jahre hinweg, so sehr gewünscht habe.

 Kaum zu Hause aus der Klinik, erreicht mich ein Anruf aus der Familie. Erneute Erklärungsversuche von meiner Seite, was BRCA2 für UNSERE Familie bedeuten kann, welche Möglichkeiten es für eventuell Betroffene in der Familie gibt und wo man sich Beratung einholen kann. Ich erfahre, dass die meisten in der Familie dieses Thema eher gelassen betrachten nach Rücksprache mit ihren Ärzten und sie keine weiteren Schritte für sich in Erwägung ziehen möchten. Lasse mir weiterhin sagen, dass erst wenn man seine regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen wahrnimmt, an Krebs erkrankt, weil ja auch nur dann Krebs gefunden wird? Und je älter man wird, umso weniger aggressiv sei eine Krebsdiagnose. Das ich mich doch endlich mal als geheilt betrachten sollte und überhaupt, warum ich immer noch Tabletten nehmen müsste? Und die ersten Kapitel meiner Geschichte auf Facebook. Wie konnte ich diese nur veröffentlichen und meine Familie derart verraten? Ich bin noch immer schlapp von der Operation und dann solch ein Gespräch. Ich kann nicht mehr, mag nicht mehr, will nicht mehr. Der Rest des Tages versinkt in einem Tränenmeer. Ich liebe mein Sofa zum Abtauchen aus dieser Welt...

 

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 Das Erholen von der Operation dauerte länger, als angedacht. Die drei Narben im Bauchbereich sind sehr klein und fein geworden und von Anfang an sehr gut verheilt. Innerlich hat es eine ganze Weile ordentlich gezwickt, aber auch dies hat sich im Laufe der Zeit gegeben. Kurz nach der Operation hatte ich als direkte Reaktion auf die Ovarienentfernung, erneut mit heftigsten Hitzewallungen zu kämpfen. Zum Glück war dies nur eine kleine Weile der Fall, ehe sich die schlimmsten Hitzeattacken erneut verloren. Worüber ich mich alles andere als erfreut zeigte, sind zwei bis drei weitere Kilos, die sich kurz nach der Operation zu den bereits vorhandenen Antihormonkilos, dazu geschummelt haben und die hartnäckige Ansicht vertreten, bei mir bleiben zu wollen - und wenn ich noch so viel Sport mache und mir eine gesunde Ernährung gönne. Sie bleiben mir erhalten. Äußerst frustrierend...

 

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 Im Herbst 2012, ließ ich zwecks Vorsorgeuntersuchung, eine Magen- und Darmspiegelung vornehmen. Zum Glück verlief diese ebenfalls unauffällig. Alle fünf Jahre werde ich in Zukunft bis auf weiteres solch eine Untersuchung durchführen lassen. Wenn ich an den Geschmack des Abführmittels denke, dreht sich mein Magen schon jetzt um. Schrecklich ist kein Ausdruck. Das Abführmittel ist aber auch schon das Schlimmste an dem ganzen Vorgang. Die Hauptuntersuchung, konnte ich sediert hinter mich bringen. Es gibt angenehmere Untersuchungen, aber diese Vorsorge betrachte ich ebenfalls als einen wichtigen Bestandteil für den Erhalt meiner Gesundheit. Um ein Hautkrebsscreening ist mein Vorsorgeprogramm ebenfalls erweitert. Zwischenzeitlich wurden mir mehrere auffällige Leberflecke im Gesunden entfernt und laut meiner Hautärztin, werden in den kommenden Jahren weitere folgen. Zumindest je nachdem, wie sich die als auffällig eingestuften Leberflecke entwickeln. Justin nimmt ebenfalls an einem Hautkrebsscreening teil. Auch ihm wurden auffällige Leberflecke entfernt. Sobald Justin volljährig ist, werde ich ihn ebenfalls auf BRCA2 testen lassen. Anfang November 2012, ein gutes halbes Jahr nach der operativen Entfernung meiner Ovarien, stellte ich meine Antihormontherapie für die nächsten fünf Jahre von Tamoxifen auf Letrozol um.

 

Kapitel 14

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