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Heute ist der 14. Mai 2010 und das Unfassbare ist eingetreten. Ich - habe - Brustkrebs! Alles Hoffen und Bangen der vergangenen Wochen dahin. Mein Sein fühlt sich an, als wenn es zerbricht - Geist und Körper voneinander getrennt. Ich bin im freien Fall! Und nichts, das mich aufzufangen vermag. Nur Fassungslosigkeit in mir. Ohnmacht!

 

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 Vor zwei Monaten feierte ich ahnungslos meinen 41. Geburtstag, vor wenigen Wochen den dreizehnten meines mehrfachbehinderten Sohnes. Justin, den ich über alles liebe und Zeit seines Lebens allein erziehe. Was wird nun? Ich habe Angst, sterben zu müssen. Angst, mein Leben nicht mehr leben zu dürfen. Angst, meinen Sohn nicht aufwachsen zu sehen, für ihn nicht mehr Mama sein zu dürfen und all die Dinge zu tun, die ich mir doch so sehr wünsche, erleben zu dürfen. In mir brennt alles...

 

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 Es fing vor einigen Wochen so harmlos an. Im April war ich zu einem Termin bei meiner Frauenärztin Frau Dr. P, da meine Periode seit einigen Wochen überfällig war. Beim Abtasten meiner linken Brust sprach sie mich auf eine Verhärtung an. Ob mir diese aufgefallen sei? Um ehrlich zu sein: Nein! Zu diesem Moment bin ich davon ausgegangen, dass diese Verhärtung in meiner Brust mit meiner überfälligen Periode und Hormonschwankungen zusammenhing. Ich verblieb mit meiner Frauenärztin Frau Dr. P dahingehend, dass ich mich nach Einsetzen meiner Periode erneut bei ihr vorstellen würde.

 In den folgenden Tagen versuchte ich den Gedanken an den Knoten in meiner Brust zu ignorieren und mich dahingehend zu beruhigen, dass alles gut sein und der Knoten nichts weiter als eine Hormonstörung oder sich eine zumindest harmlose Erklärung finden lassen würde. Nach dem Prinzip: Die Hoffnung stirbt zuletzt!

 Bilder einer Freundin, die 2006 die Diagnose Brustkrebs erhielt, begleiteten mich in diesen Tagen immer wieder. Und ich tat, was ich nicht tun sollte. Ich informierte mich im Internet über Brustkrebs und was ich zu lesen bekam, ängstigte mich zutiefst. Ich versuchte mich gleichermaßen dahingehend zu beruhigen, dass schon alles in Ordnung mit mir sein wird. Ich ohnehin am besten erst einmal das Einsetzen meiner Periode abwarten sollte, ehe ich mich selbst verrückt machte. Zehn Tage später war es endlich soweit, meine Periode setzte endlich ein und ich fühlte mich beruhigt. In den vergangenen drei Jahren hatte ich immer wieder verstärkt Probleme mit meiner Periode. Entweder sie verspätete sich mit ihrem Einsetzen um mehrere Wochen oder sie hielt sehr lange an, auf Grund von Zystenbildungen in meiner Gebärmutter. Alles in allem eher lästig als besorgniserregend. Ich war mir sicher, dass sich der Knoten in meiner Brust nun endlich auflösen würde. Aber das tat er nicht... Nachts, wenn ich in meinem Bett lag, konnte ich ihn ertasten. Er war nicht immer leicht zu finden, der Knoten in meiner linken Brust, der die Form und die Größe einer Erdnuss aufwies. Aber er war zweifelsfrei da.

 

 Wenige Tage später fand ich mich erneut zur Untersuchung bei Frau Dr. P ein. Bei der gynäkologischen Untersuchung war alles Bestens. Schon einmal gut. Beim erneuten Abtasten meiner Brust meinte meine Ärztin, dass alles in Ordnung sei. Sie könne keinen Knoten mehr ertasten, es sei wohl tatsächlich nur eine hormonelle Störung gewesen. Erleichterung durchflutete mich. Denn genau das, hatte ich von ihr hören wollen. Dennoch brachte ich den Einwand ein, dass ich selbst Schwierigkeiten hätte, den Knoten im Stehen zu ertasten, diesen im Liegen aber meist deutlich spüren könne. Lieber zur Sicherheit einmal mehr nachfragen, dachte ich mir. Hauptsache, es wird am Ende alles gut sein.

 Daraufhin bat mich Frau Dr. P auf die Untersuchungsliege. Erneut tastete Sie meine Brust - nun im Liegen - ab und konnte jetzt den Knoten deutlich fühlen. Eine Ultraschalluntersuchung bestätigte den Tastbefund. Anhand des Ultraschallbildes könne sie eine Zyste ausschließen. Eine Mammographie sei nun dringend angeraten. Den Termin machte sie selbst direkt für mich in der Radiologischen Praxis aus, da dieser so kurzfristig als möglich erfolgen sollte. In Anbetracht der Dringlichkeit verließ ich die Praxis meiner Frauenärztin wie betäubt, voller Bangen und Hoffen, dass sich dieser Horror als harmlos erweisen würde; als ein großer Irrtum. Dass mein Körper mich nicht im Stich gelassen, dass alles gut sein würde mit mir.

 

 Es war ein schöner sonniger Apriltag, der Frühling hatte endlich Einzug gehalten und versprach Erholung und Wärme nach einem langen, kalten Winter (und vor allem - mir ging es endlich wieder besser, nach einem Jahr voller Müdigkeit und Orientierungslosigkeit. Und dann sollte mit mir etwas nicht in Ordnung sein, ich vielleicht an Brustkrebs erkrankt sein?) Nein, das konnte, dass durfte nicht sein. Völlig aufgewühlt rief ich Maria an, eine liebe Freundin und ehemalige Arbeitskollegin und bat sie, mich am Donnerstag zur Mammographie zu begleiten.

 

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 Am 29. April war es soweit. Wir trafen uns in der Radiologischen Praxis. Schick hatte ich mich gemacht, mein übliches Rüstzeug bei unangenehmen Gängen und Terminen. Es war ein gutes Gefühl, Maria an meiner Seite zu haben, sich über alltägliches zu unterhalten und die bange Wartezeit zu überstehen.

 Nach Auswertung der Mammographie konnte ich direkt mit dem Arzt sprechen. Er teilte mir mit, keinen auffälligen Befund zu sehen. Er bat mich, dass ich ihm zeigen solle, wo der Knoten liegen würde. Bei der folgenden Ultraschalluntersuchung gab er mir erneut seine Bestätigung, dass der Knoten unauffällig sei, er ein Fibroadenom vermuten würde. Dieses sollte ich von meiner Frauenärztin weiter beobachten lassen und bestätigte erneut, dass der Knoten definitiv nicht besorgniserregend sei. Das war für mich eine wunderbare Nachricht, bei der mir Steine vom Herzen purzelten. Maria erzählte ich überglücklich von der Entwarnung und zur Feier des Tages bummelten wir zu einem Italiener um die Ecke und gönnten uns in der Sonne sitzend einen Prosecco. Noch mal davongekommen, jubelte es in mir!

 Es war einer dieser schönen Frühlingstage, die dazu verführen, dem Leben ins Gesicht zu lachen.

 

 Eine Woche später suchte ich frohen Mutes erneut meine Frauenärztin in ihrer Praxis auf, zu einem für mich vermeintlichen Abschlussgespräch. Aber es sollte alles anders kommen. Meine Frauenärztin las sich den radiologischen Arztbrief durch. In dem Brief standen keine guten Nachrichten. Herr Dr. P verglich die Mammographie mit einer früheren aus dem Jahr 2007. Und im direkten Vergleich dieser zwei Mammographien, fielen ihm zwei suspekte Befunde, entsprechend BI-RADS IV auf. Seine Empfehlung lautete, dass dringend eine Magnetresonanztomographie, kurz MRT genannt, durchgeführt werden müsste. Er entschuldigte sich im Arztbrief dafür, dass er die ganze Tragweite der Befundung bei der Erstsichtung nicht erkannte.

 Ich falle bei diesen Worten, meine Knochen verlieren ihre Substanz, mir ist heiß und kalt zugleich und ich verstehe gar nichts mehr. Frau Dr. P versuchte mich dahingehend zu beruhigen, dass wir erst die weiteren Untersuchungen abwarten müssten und ich nicht gleich an das Schlimmste denken solle. Sie telefonierte umgehend mit der hiesigen Brustambulanz und bat um einen sofortigen Termin. Am ganzen Körper zitternd verließ ich die Praxis. Ich rannte zu meinem Wagen, um auf dem schnellsten Weg in die Klinik zu fahren.

 Und es ging mir alles nicht schnell genug. Die Trottel, die auf der Straße unterwegs waren und mich am Vorankommen hinderten. Die Schwierigkeiten einen Parkplatz auf dem Klinikgelände zu finden. Die Anmeldungsformalitäten in der Klinik. Anschließend der Weg zur Brustambulanz finden und letztendlich in einem kleinen Wartezimmer ohne Fenster auszuharren. Zeit kann so unendlich lang sein! Durch meinen Körper rauschte das Blut, Angst in der kleinsten Zelle meines Seins.

 

 Eine junge Ärztin bat mich in das Behandlungszimmer. Sie sichtete die Mammographie Befunde und nahm eine erneute Ultraschalluntersuchung vor. Ein weiteres Vorgehen sei unumgänglich, aber das wusste ich ja schon. Sie würde in der folgenden Woche einen MRT-Termin für mich ausmachen und das im direkten Anschluss eine Stanzbiopsie des Befundes durchgeführt werden sollte. Ein MRT wird vor allem bei jungen Patientinnen gerne durchgeführt, da bei diesen der Drüsenkörper der Brust wesentlich dichter als bei älteren Damen ist und eine Mammographie oft nicht ausreicht, um sich ein klares Bild von dem Gewebeaufbau einer Brust zu machen. Fünf unendlich erscheinende Tage sollte ich warten, bis es weiter gehen konnte. Oh mein Gott! Der Termin wurde für Mittwoch, den 12. Mai, vereinbart.

 

 Das folgende Wochenende verlief entsetzlich. Keine Nacht, in der ich durchgehend Schlaf finden konnte. Ich versuchte weitere Informationen im Internet einzuholen, um mir besser vorstellen zu können, was in der folgenden Woche alles auf mich zukommen würde. Ich las über die unterschiedlichsten Formen von Brustkrebs, Erfahrungsberichte von betroffenen Frauen und schimpfte mit mir selbst, dass ich mir dies antat. „Bin ich nun eine von diesen Frauen?“ fragte ich mich besorgt und zutiefst verängstigt.

 

 Meine Mutter feierte sonntags ihren 58. Geburtstag. Ich saß in der Familienrunde mit dabei, beobachtete das Lärmen und Geschehen um mich herum und fühlte mich, als wenn ich durch eine unsichtbare Wand von ihnen getrennt wäre. Ich hielt meine Arme um mich geschlungen, um mich zu fühlen und mir Halt zu geben. Jeder Atemzug bereitete immense Schwierigkeiten. Mit meiner jüngsten Schwester sprach ich über meine Angst, dass ich Brustkrebs haben könnte. Manches verstand sie nicht. Für sie war es furchtbar zu sehen, dass ich mich mit meinen Armen selbst hielt. Für sie wirkte es, als wenn ich mich von den Anderen abgrenzen wollte. Dabei wollte ich mich nur halten, dem Schmerz und der Angst in mir Einhalt gebieten. Statt dessen erzählt sie mir, dass ich das Ganze als Chance sehen solle, wenn es denn so sei. Dass ich meinem spirituellen Weg nun endlich folgen und Brustkrebs immer Probleme mit dem Frausein einschließen würde und mich meine „alten Konflikte“ krank gemacht hätten. Dass sie mich unterstützen würde, wo sie nur könne.

 Ich verstand nichts mehr, fühlte mich völlig verunsichert und an die Wand gestellt. Ich wollte keinen spirituellen Vortrag hören, sondern hätte mir eine liebevolle Umarmung gewünscht. Ein stilles Gehalten werden, wenigstens für einen kleinen Moment. Ich hatte nicht den Mut ihr zu sagen, dass ihre Meinung in dieser Richtung für mich jetzt nicht wichtig war - aus lauter Angst, dass sie am Ende ja doch Recht haben könnte! Wie ihr die Angst verdeutlichen, die ich um mich und mein Leben hatte, meine Zukunft, mein Sein?

 

Kapitel 2

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