III

 

 Endlich war es soweit, der MRT-Termin stand an. Es war Mittwoch der 12. Mai, 9:30 Uhr. Nach kurzem Warten auf einem Flur, wurde ich in einen kleinen Nebenraum gebracht und gebeten meinen Oberkörper freizumachen und auf die Radiologin zu warten. Diese lies sich von mir die Lage des Knotens zeigen und half mir dabei, einen engen Schlauchverband um meine Brust anzulegen. In meine Armvene legte sie einen Zugang, durch den später während der Untersuchung ein Kontrastmittel gespritzt werden sollte. Mit der Unterschrift zur Einwilligung des MRTs, ging es endlich los. Ich wurde in einen Raum gebracht und musste mich bäuchlings auf einen Untersuchungstisch legen, der mit mir in das Gerät eingefahren wurde. Sobald ich richtig positioniert lag hieß es, dass es nun losgehen könne. Absolutes still liegen, für circa 25 Minuten. Es war unglaublich laut und eng in dieser Röhre, trotz der Ohrenschützer die ich trug. Ein Technobeat seiner eigenen Art, umtoste mich. Ich hielt mir vor Augen, dass bereits viele Frauen vor mir solch eine Prozedur bewältigt hatten und machte mir Mut, dass ich dies dann ebenfalls schaffen würde. Was sind schon 25 Minuten, wenn ich danach Gewissheit habe, dass mit mir und meiner Brust alles in Ordnung ist?

 Meiner aufkommenden Angst begegnete ich mit Atemübungen aus dem Yoga Kurs. Die sollten mir in den kommenden Monaten noch häufiger von Nutzen sein. In dieser Röhre begann ich mir zum ersten Mal Mut zuzusprechen: „Du bist gesund, du bist gesund!“. Ein ums andere Mal. Es konnte gar nicht anders sein. Mein persönliches Mantra.

 Das mir das Kontrastmittel gespritzt wurde, bekam ich nur am Rande mit. Ich war heilfroh als ich mit der Untersuchung durch war - ich hätte kaum länger ruhig liegen bleiben können. Nachdem ich mich angekleidet hatte, durfte ich zurück in das fensterlose Wartezimmer des Brustzentrums. Dort saßen bereits mehrere Frauen, von der mir eine vage bekannt vorkam. Erneutes warten. Ich zog mich innerlich zurück und hing meinen Gedanken nach, bis ich erneut aufgerufen wurde. In dem abgedunkelten Behandlungszimmer begrüßte mich Frau Dr. G und nahm meine Anamnese (Krankengeschichte) auf. Sie stellte mir Fragen zu Erkrankungen in der Familiengeschichte, wann meine Periode zum ersten Mal eingesetzt hätte, ob ich Kinder hätte, ob und wie lange ich meinen Sohn stillte und vieles mehr.

 Nach Auswertung des MRTs konnte sie mir sagen, dass ich zwei dicht beieinander liegende Knoten in meiner linken Brust habe. Ich solle nicht gleich das Schlimmste denken, da beide klar abgegrenzt seien und dies eher auf eine gutartige Veränderung hinweise. Hinzu käme eine Kalkablagerung auf circa 4 Uhr, aber das sei nichts Schlimmes. Als nächstes käme die Stanzbiopsie, deren Ablauf sie mir erklärte. Mit Unterstützung von Ultraschall, würde sie das entsprechende Gebiet erst örtlich betäuben um dann eine Stanze, ähnlich wie eine Art dicker Spritze, in den Knoten zu führen. Ich solle nicht erschrecken, wenn es so weit sei, da es einen lauten Klick geben würde, wenn die Probe aus dem Knoten entnommen wird. Wie schon bei den vorangegangenen Ultraschalluntersuchungen waren die Knoten nicht leicht zu finden. Ich begann sie ab sofort Dick und Doof zu nennen. Was machten die es den Ärzten und mir aber auch so schwer? Zwei Knoten. Nicht nur einer, hämmerte es derweil in meinem Kopf...

 

 Oh Gott! Frau Dr. G hatte tatsächlich von zwei Knoten gesprochen...

 

 Nach der Entnahme der Gewebeprobe beruhigte mich Frau Dr. G erneut. Die Nadel habe sich sehr leicht in den Knoten einführen lassen, das würde auf eine gutartige Veränderung hinweisen, ebenso das sich die Knoten klar abgegrenzt im MRT darstellten. Das beruhigte mich ein wenig, wollte ich doch unbedingt daran glauben. Mit viel Glück könnten die Ergebnisse am Freitag vorliegen, ansonsten leider erst am Montag und wir uns an diesem Tag erneut treffen sollten, zu einer weiteren Besprechung.

 Freitagvormittags hielt ich es nicht mehr aus und rief in der Brustambulanz an, um zu erfragen, ob die Ergebnisse der Biopsie schon vorliegen würden? Ich war zu der Zeit zwecks Ablenkung am Bügeln.

 Die Schwester am Telefon bat mich zu warten, ich solle dranbleiben, sie würde in den Unterlagen nachschauen. Im Hintergrund hörte ich sie in Unterlagen blättern und ein leises: „Oh Gott!“ In diesem Moment wusste ich, dass ich die Bingo-Arschlochkarte gezogen hatte. Sie könne mir am Telefon keine Auskunft geben, ich müsste mit Frau Dr. G direkt sprechen. Ob ich um 14.00 Uhr da sein könne? Ab da raste alles in mir. Kurz nach 15.00 Uhr kommt Justin aus der Schule zurück, wie sollte ich das machen? Egal, ich musste kommen. Ich rief umgehend Justins Busfahrerin an und erzählte ihr, dass ich einen dringenden Termin wahrnehmen müsste und Justin, falls ich es nicht schaffen sollte rechtzeitig zurück zu sein, zu Maria gebracht werden sollte. Aufgewühlt und voller Angst fuhr ich in die Klinik. Erneutes Warten, ehe ich in das Behandlungszimmer gebeten wurde. Frau Dr. G erwartete mich dort bereits im Beisein einer Assistenzärztin. Ob sie befürchteten, dass ich zusammenklappe? Dass sie leider keine guten Neuigkeiten für mich hätte. Die Knoten in meiner linken Brust, seien Brustkrebs. Bösartig. Sie hätte so sehr für mich gehofft, gerade im Hinblick auf meinen Sohn und meines Alters, dass dem nicht so ist. Vor sich hatte sie die Auswertung des Pathologen liegen, die sie mir zeigte:

 

Wenig differenziertes invasiv duktales Mamma-CA. G3

 

 Ich wusste, was das bedeutet. G3 hatte auch Verena. Und 2009 eine Metastase im Kopf. Die Frau eines Freundes macht seit 1999 einen Krebs nach dem anderen durch. Meine jüngste Tante Claudia starb mit 41 Jahren an Lungenkrebs. Ich fragte sie direkt und ohne Umschweife, ob ich jetzt sterben müsse und ob der G3 Faktor sich vielleicht bei einer weiteren Untersuchung, nicht doch als G2 Faktor herausstellen könnte? Schachern mit dem Teufel... Nein, so würde das nicht funktionieren und an das Sterben solle ich nicht denken. Das G3 solle ich vergessen, konzentrieren solle ich mich auf das invasiv duktale Mamma CA. Das wäre das einzig entscheidende Merkmal für mich. Dass ich mich auf mich konzentrieren solle und so bedauerlich es für die anderen Frauen in meinem Umfeld auch sei, deren Diagnose und Schicksal sollte ich vergessen. Dass jeder Tumor und jede Patientin ihre eigene Geschichte hätten. Ein Spruch, den ich noch oft zu hören bekommen würde. Zu dem Zeitpunkt stand der Hormonstatus der Tumore (!) noch nicht fest. Dass mein Fall (gehobene Augenbraue - nun bin ich ein Fall, reihe mich in die Statistik ein...) in der kommenden Woche in der Tumorkonferenz vorgestellt wird und man dann mehr wüsste. In der Zwischenzeit sollte ich mir überlegen, ob ich die Chemotherapie vor der Operation oder erst anschließend durchlaufen wolle? Das es keinen Unterschied für meine Prognose machen würde, für welche Variante ich mich entscheiden werde. Die Chemotherapie vor der Operation zu durchlaufen hätte den Vorteil, dass meine Ärzte besser verfolgen können, inwieweit die Chemotherapie auf die Tumorzellen einwirkt. Dass sich die Tumore im besten Fall wesentlich verkleinern und somit auch das Operationsergebnis schöner ausfallen würde. Auf das Kalkfeld wird die Chemotherapie keine Auswirkung zeigen, dieses würde jedoch bei der eigentlichen Tumorentfernung sicherheitshalber entfernt werden.

 Ich entscheide mich umgehend aus dem Bauch heraus, die Chemotherapie vor der Operation durchzuziehen. Meine wunderschönen langen hellblonden Haare! Mein Attraktivitätsmerkmal schlechthin!

 MEINE linke Brust. ,,Amputation", platze ich heraus. ,,Ich will ganz sicher sein, dass der Krebs dann weg ist." Aber nein, doch keine Amputation. Auf Grund dessen, das die beiden Tumore sehr dicht beieinander liegen, lasse sich wunderbar brusterhaltend operieren. Ich solle mir keine Sorgen machen. Jetzt solle ich erst mal nach Hause fahren, mich beruhigen und in der kommenden Woche würden wir uns erneut treffen und ich würde alles weitere erklärt bekommen. Völlig betäubt fahre ich nach Hause, rechtzeitig um Justin aus der Schule heimkehrend empfangen zu können.

 Justin besucht im näheren Umkreis eine Ganztagsschule für körperbehinderte Kinder und wird morgens von Zuhause abgeholt und meist auch nachmittags von einem Schulbus nach Hause gebracht. An mehreren Nachmittagen hole ich Justin aus der Schule ab, da wir neben der Krankengymnastik zweimal in der Woche zusätzlich zum Reiten und zur Logopädie fahren und diese Termine am frühen Nachmittag stattfinden.

 Während ich auf das Ankommen meines Sohnes warte, informiere ich meinen Bruder und meine jüngste Schwester über die Diagnose Brustkrebs am Telefon. Ich muss aussprechen, um zu begreifen dass ich Krebs habe und klatsche meinen Geschwistern das Wort Krebs um die Ohren. ,,Ich habe Krebs!" schreit es in mir. Ich betrachte meine Hand während ich telefoniere und kann den Krebs auf ihr nicht sehen. Er hat keine flammende Spur auf meiner Haut hinterlassen, welche mir das Begreifen, das dem so ist, leichter machen könnte. Möchte von meinem Bruder wissen, der mit seiner Familie gemeinsam in einem Haus mit meiner Mutter lebt, wann diese von der Arbeit nach Hause kommt, da ich ihr die Diagnose lieber persönlich mitteilen möchte als am Telefon. Und sicherstellen, dass anschließend jemand für sie da ist. Mein Bruder ist fassungslos über die Diagnose und bietet mir umgehend an, uns sobald als möglich abzuholen und später am Abend auch wieder nach Hause zu fahren. Dass ich mich jetzt bloß nicht selbst hinter das Steuer setze, um die 50 km nach Hessen zu fahren.

 Mein Sohn kommt aus der Schule nach Hause. Ich umfange ihn, halte ihn, atme seinen Duft ein, versuche in mir alles an Kraft beieinander zu halten, um nicht die Fassung zu verlieren. Das Atmen fällt mir unglaublich schwer, ich fühle mich wie unter einer Glocke sitzend. Was wird nun aus uns? Warum diese erneute Herausforderung? Haben die letzten Jahre nicht schon genug mit sich gebracht? Bei manch anderen läuft das Lebens scheinbar immer so schön rund - Mann, Kinder, Haus, Hund, Katze, Urlaub - wo die größte Sorge zu sein scheint, was am Abend auf den Tisch kommt oder das man sich ein neues Auto kaufen sollte. Unfair bin ich wohl gerade. Sei drauf geschissen, dann bin ich eben unfair!

 

 Wenig später ruft Karlsson an, fragt wie es mir geht, ob er etwas für mich tun kann. Ihn hatte ich direkt nach dem Verlassen der Klinik auf dem Weg zu meinem Wagen angerufen und ihm noch am Telefon die Diagnose mitgeteilt. Wir verabreden uns dahingehend, dass ich mich bei ihm melde wenn ich ihn brauche, dass ich wie mit meinem Bruder verabredet, erst mal nach Hessen zu meiner Mutter fahre und ihr die Nachricht persönlich mitteile. Mir graut davor.

 

֍

 

 In der Wohnung meines Bruders warten wir gemeinsam bei einem Glas Wein auf das Eintreffen meiner Mutter. Schweren Herzens klopfe ich an ihre Tür als es soweit ist und steige die Treppe zu ihr empor. Ich habe sie noch nicht erreicht, da sprudeln die Worte aus mir: „Es ist Krebs. Und er ist bösartig!“ Ich weiß nur noch, dass wir bei ihr auf der Couch sitzen und mir endlich die Tränen kommen, für die es kein Halten mehr gibt. Die Angst vor der Krankheit, vor der Möglichkeit meines Sterbens, vor all dem was in den kommenden Monaten auf mich zukommen wird, bricht sich Bahn. Meine Mutter spricht mir Mut zu, dass ich den Krebs ganz bestimmt besiegen werde. Das ich wieder völlig gesund werde. Das meine Tante Claudia, ihre jüngste Schwester die im Jahr 2000 an Lungenkrebs starb, von Beginn an ihrer Diagnose nie wirklich gegen ihre Erkrankung gekämpft hat. Diese vor allem was ihre Erkrankung ausgemacht hat, ihre Augen verschloss. Das ich im Gegensatz zu meiner Tante schon immer sehr stark und mir vieles erkämpft habe, was unmöglich erschien. Daran solle ich ganz fest glauben. Ich bin 41 Jahre alt, im gleichen Alter als meine Tante starb und ich habe Brustkrebs. Die Angst klopft in meinem Herzen, brennt in meinen Adern. Mit meiner Mutter vereinbare ich, dass sie unsere Familie über die Diagnose informiert - (auf diese Art erreicht diese Nachricht letzten Endes alle in der Familie) und vor allem mit meiner Schwester Mela spricht, die im September Zwillinge erwartet.

 Später in dieser Nacht, liege ich eng eingekuschelt an meinen Sohn in seinem Bett, während die Gedanken und Gefühle in mir rotieren. Gedankenmuster, wie wir die kommende Zeit bestehen könnten, tun sich langsam in mir auf und beginnen ein erstes Gerüst zu konstruieren.

 

Kapitel 4

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