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Tags darauf starten wir bei strömendem Regen in Richtung Luxemburg. Die Wehranlage und der alte Kern der Stadt, gefallen mir sehr gut. Wir sammeln Kastanien auf einem ausgedehnten Spaziergang auf der Wehranlage der Stadt und ich komme mit meiner Puste gehörig ins Japsen. Der Regen hat zwischenzeitlich zum Glück aufgehört und die Sonne lässt sich vereinzelt, versteckt hinter dunkelgrauen Wolken, blicken. Meine Kondition ist noch immer deutlich reduziert. Mein Herzschlag dröhnt beim Treppen erklimmen laut in meinen Ohren und die Muskulatur meiner Beine, brennt ordentlich und bringt sie zum Zittern. Meine Kondition wird sich in den kommenden Wochen bestimmt steigern, hoffe ich in diesen Momenten. Alles andere mag ich mir nicht vorstellen. Ich führe mir zu meiner Beruhigung immer wieder vor Augen, dass mein Körper in den vergangenen Monaten eine Tortur durchmachte und dass dieser sich schon noch erholen wird, mahne ich mich zur Geduld.
Nicht immer eine meiner leichtesten Übungen. Auf meinem Haupt tut sich leider auch noch nichts. Meine Haare lassen sich für meinen Geschmack, etwas zu viel Zeit, mit ihrem Erwachen aus ihrem Dornröschenschlaf. Ich bin meine Glatze, einfach nur noch leid!
Abends nehmen wir in einem exklusiven Restaurant in der Innenstadt, ein wunderbares Menü zu uns. Welch ein Genuss, zunehmend schmecken zu dürfen und die unterschiedlichsten Aromen aufzunehmen. Ganz so wie ich es mir in den vergangenen Monaten wünschte. Ein Luxusgeschenk...
Sonntagmittags treten wir bei strahlend blauem Himmel die Heimfahrt an. Ein kurzer und erholsamer Tagestrip geht zu Ende. Ein kurzes Luft holen vor allem weiteren, was da kommen mag. Der Austausch mit Karlsson tut mir jedes Mal unglaublich gut, schenkt mir Kraft und das Gefühl, dass ich mit meiner Denke richtig liege. Ich hoffe sehr, dass ich Karlsson und manch anderem aus meinem Umfeld, nicht zu viele meiner Ängste und Unsicherheiten zumute. Manchmal muss ich einfach erzählen und alle meine Gedanken und Empfindungen rauslassen - ich habe doch keinen Partner, mit dem ich mich austauschen könnte. Selbst an den schönen, den guten Tagen seid der Diagnose, steht die Diagnose Krebs immer im Raum. Mal neben, mal hinter, mal vor mir. Aber irgendwie immer präsent, weil mitten in mir. In meiner Seele und in meiner linken Brust!
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Die letzten Tage vor der Operation, vergehen schnell. Ich führe Gespräche mit der Schule und der Lebenshilfe, bezüglich Justins Betreuung. Derzeit gehe ich davon aus, dass Justin vierzehn Tage in der Lebenshilfe bleiben wird, nach der Operation. Bei der Krankenkasse hole ich weitere Genehmigungen für die Betreuungsunterstützung, während meines Krankenhausaufenthaltes ein und bringe meinen Haushalt auf Vordermann. Ich gehöre zu denen, die ihr Nest gerne ordentlich hinterlässt und erledige im Vorfeld alles, was ich alles erledigt haben möchte.
Unter anderem gebe ich meine schöne Wäsche weg, da ich die dazugehörigen BHs auf Grund der Bügel nicht mehr werde tragen können, auf Grund der Teilamputation. Trotz dessen, das ich Single bin, habe ich immer gerne schöne Wäsche getragen. Mal sehen, was zukünftig kommen wird. Das sollte das Geringste meiner Probleme sein. Frau XY und ihre Eitelkeit lassen grüßen. Ein klein wenig Wehmut ist dennoch dabei...
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Der Herbst macht sich mittlerweile deutlich bemerkbar und lässt die Bäume in seinen herrlichsten Farben leuchten. Im Frühjahr, als der Löwenzahn die Wiesen in sein gelbes Gewand hüllte, begann diese ungewollte Reise in eine äußerst ungewisse Zukunft. Das Schlimmste habe ich nun hoffentlich überstanden. Vor der Operation hatte ich in den ersten Monaten der Diagnose keine Angst, ganz im Gegenteil. Bedeutete die Operation doch nichts anderes, als dass Dick und Doof den endgültigen Rauswurf aus meinem Körper erfahren. Und mit ihnen zusammen nun auch das DCIS, dass blöde Scheißding...
Die erneute Unsicherheit, die dieses ursprünglich als harmlos eingestufte Kalkfeld mit sich gebracht hat, ist alles andere als leicht auszuhalten. Werde ich meine Brust behalten dürfen - ja oder nein.!? Die Unsicherheit vor dem Ausgang der Operation, lastet schwer auf mir. Hoffen und Bangen halten sich mal mehr, mal weniger die Waagschale.
Unser letztes Wochenende vor der Operation, verbringen Justin und ich in aller Ruhe. Wir gratulieren einem Freund zu seinem 70. Geburtstag und bestaunen seine Ausstellung anlässlich seines Ehrentages, die er an diesem Tag gibt, sammeln Kastanien im Sonnenschein auf einer letzten Tour mit Justins Fahrrad und verbringen den Abend mit viel Kuscheln und Schmusen, auf unserem Sofa.
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Montagsfrüh starte ich nach Frankfurt in die Klinik, zwecks der Aufnahmeformalitäten, die relativ rasch erledigt sind. Einem Teil obliegt der Bürokratie, ein letztes Mal Blut abnehmen für die Operation, ein Gespräch mit der Anästhesistin und anschließend kann ich schon wieder nach Hause fahren. Mich erreichen an diesem Tag viele aufmunternde SMSen aus dem Freundes- und Familienkreis, Mails und letzte Anrufe. Man wird an mich denken und wünscht mir alles Gute für die Operation. Justins und meine Reisetasche für unsere jeweils entsprechenden Aufenthalte sind gepackt, inklusive kleinen Kraftspendern, wie zum Beispiel liebgewonnenen Karten, die ich geschenkt bekommen habe in den vergangenen Monaten, einem Foto von Justin und meiner Nichte für den Nachttisch in der Klinik, meinem Tagebuch, welches mich in die Klinik begleiten wird, ein Buch und Musik für meine Ohren zur Ablenkung.
Derzeit höre ich sehr viel Musik von Alin Coen, einer jungen deutschen Band. Alins Stimme und die Texte ihrer Musik berühren mich zutiefst und schenken mir Trost. Mit ihrem reinen Sopran, lässt sich wunderbar träumen und auch weinen. Für mein neues Jahr und den Start in mein zweites geschenktes Leben, wünsche ich mir unbedingt ein Live-Konzert von ihr zu erleben. Von ihr und vielen anderen Künstlern. Einfach machen, nicht nur träumen...
Mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester, führte ich im Vorfeld so manches Gespräch, dass ich am Tag der Operation keinen Besuch wünsche, da ich aus Erfahrung weiß, dass ich Narkosen nicht gut wegstecke und den restlichen Tag meist einfach nur verschlafen möchte. Das sie mich bitte einen Tag später besuchen mögen, wenn ich die Narkose halbwegs verkraftet habe oder wenn ich wieder Zuhause bin. Kurz vor der Operation teilt meine Mutter mir mit, dass sie am Tag der Operation auf jeden Fall nach mir schauen wird und dass sie sich dies nicht nehmen lassen möchte. Ist ja lieb von ihr. Was muss ich auch immer so eigen sein, gebe ich klein bei. Ich bin mir zunehmend bewusst, dass meine Mutter und der Kern meiner Familie, viele meiner Handlungen und Entscheidungen nicht verstehen oder nachvollziehen können. Das ist für keine der beiden Parteien leicht auszuhalten. Ganz gleich wie, es wird alles gut werden, sag ich mir!
Karlsson hatte zum Zeitpunkt der anstehenden Operation, ursprünglich einen Urlaub in seinem Haus in Schweden geplant. Diesen hatte er jedoch eigens verschoben, um mir beizustehen. Bei dem Gedanken im Vorfeld ihn nicht um mich zu wissen, war mir schon ein wenig Bange zumute. Zugeben hätte ich dies aber nicht wollen. Ich wollte Karlsson nicht noch weiter einspannen, als dies bereits ohnehin der Fall ist. Ich möchte ihm mit meiner Erkrankung keine Last sein, die ihm wie ein Mühlrad um den Hals hängt und alle Luft zum Atmen nimmt oder in seinen Entscheidungen einschränkt. Möchte weder ihn, noch sonst jemanden ersticken, nur weil er meint, sich für mich verantwortlich zu fühlen. Meine kleine Schwester holte sich im Vorfeld von mir die Erlaubnis ein, während meines Klinikaufenthalts in Urlaub fahren zu dürfen, zusammen mit ihrem Freund und ihrer Tochter. Warum auch nicht? Es ist ohnehin nicht absehbar, wie sich alles gestalten wird oder wie es mir nach der Operation ergehen wird. Wird eine Operation ausreichen oder mir letzten Endes in einer zweiten Operation, meine Brust doch noch amputiert werden? Für mich werden die kommenden Monate, ein langsames und blindes Vorantasten in einem Niemandsland sein. Als Person werde ich stiller und nehme mich immer mehr zurück. Suche die Menschen auf, bei denen ich mich verstanden fühle und wohlfühle.
Am frühen Montagabend bringe ich Justin in die Lebenshilfe und verabschiede mich innig von meinem Sohn, der schwer mit seinen Tränen kämpft. Wir versuchen beide tapfer zu sein und die Trennung fällt uns sehr schwer.
Die letzte Nacht vor der Operation, verbringe ich bei Karlsson in seiner Wohnung. Da wir bereits gegen 6.30 Uhr auf der gynäkologischen Station in Frankfurt sein müssen, gehen wir relativ früh zu Bett. Schlaf zu finden in dieser Nacht ist schwierig, trotz des Haltens von Karlsson. Seine Arme schenken mir ein Gefühl von Wärme und Nähe. In dieser Nacht halte ich zum letzten Mal meine linke Brust und nehme Abschied von ihr.
Angekommen auf der gynäkologischen Station, werden wir neben zwei weiteren Frauen und deren Familien, gebeten in einem Angehörigenzimmer zu warten. Und wieder einmal zieht sich das Warten in die Länge. Ich hätte jetzt so gerne einen Kaffee, muss aber wegen der anstehenden Operation nüchtern bleiben. Eine der beiden Frauen und ich bekommen ein gemeinsames Zimmer zugewiesen, einem relativ großem vier Bettzimmer. Eines der Betten ist von einer älteren Frau belegt. Wir drei Frauen haben alle miteinander die Diagnose Brustkrebs gemeinsam, wie ich später erfahre. Mein Bett steht direkt am Fenster. Welch ein Glück, fühle ich mich dadurch nicht ganz so arg eingesperrt. Auf meinem Bett liegen bereits Kompressionstrümpfe, Operationshemdchen und Häubchen bereit. Ein Häubchen für mich - ich habe doch Glatze, schmunzelt es widerstrebend in mir. Überhaupt meine Glatze und ich. Mittlerweile bin ich mit ihr im Umgang so selbstbewusst geworden, dass ich auf Kopfbedeckungen in öffentlichen Situationen verzichte. Die Leute schauen auch nicht mehr, als wenn ich mit Kopftuch oder Beanie unterwegs bin. Mit Justin hatte ich diesbezüglich so manch interessantes Erlebnis. Für ihn ist meine nicht vorhandene Haarpracht so normal, dass er mir mehr als einmal bei entsprechenden Gelegenheiten meine Kopfbedeckung von meinem Haupt zog und umstehende Menschen dazu aufforderte, seine Mama mit den Worten zu bestaunen:
„Mama schön, schau!“
Mein Sohn, der mich in ganz neuer Weise lehrt, selbstbewusst zu mir zu stehen.
Da sitzen Karlsson und ich nun. Zwischenzeitlich kommt die Aufnahmeschwester und erläutert mir den weiteren Ablauf für die kommenden Stunden. Da es für mich den Eindruck macht, dass die nächsten Stunden nicht wirklich abenteuerlich werden, abgesehen dessen, dass meine Nerven zusehends blank liegen, verabschiede ich mich von Karlsson an dieser Stelle. Meine Operation ist für 13.00 Uhr angesetzt. Wäre es doch nur schon so weit, denke ich mir. Mein Blutdruck und meine Temperatur werden gemessen. Ich werde darauf hingewiesen, dass ich meine Achsel rasieren solle. Ich teile der Schwester mit, dass dies nicht notwendig sei, da mir meine Körperbehaarung schon vor Monaten verlorengegangen ist. Das Häubchen hätte ich für die Operation trotz Glatzköpfchen zu tragen, wird mir aufgetragen, einfach, da dies für den Operationsbereich Vorschrift ist. Wird mir auch nicht kalt ums Köpfchen. Ich liebe Ironien, die das Leben schreibt.
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Meine erste Anlaufstelle an diesem Vormittag, befindet sich im Erdgeschoss der Klinik. Einem Raum, an dem mir die Drähte zur Markierung der Tumore und des DCIS, gesetzt werden sollen. Ich werde von einer Assistentin freundlich begrüßt, die mich in den Raum der Radiologie begleitet und mir erläutert, dass sie bei der anstehenden Prozedur stets an meiner Seite bleiben wird und mir alle anfallenden Schritte, erklären wird. Im Untersuchungsraum, begrüßt mich eine weitere Assistentin. Ich werde gebeten meinen Oberkörper frei zu machen und man hilft mir dabei, ein Operationshemd falsch herum anzuziehen, sodass mein Oberkörper nach vorne offen bleibt.
Mir wird erklärt, dass nun Mammographien meiner Brust vorgenommen werden, um die Lage der Tumore und des DCIS, genauestens ermitteln zu können. Sobald die genaue Lage der Tumore über die Mammographien anhand eines weiteren Gerätes errechnet wurden, wird mir durch ein geführtes Instrument mittels dieses zweiten Gerätes, ein Draht in die Tumore und das DCIS, eingeführt werden. Anhand dieser Drahtführungen hat die operierende Ärztin die Möglichkeit, dass Operationsfeld relativ klein und die Verletzungen am Gewebe, so gering als möglich zu halten. Zum einen ist diese Vorgehensweise nötig, da sich die Tumore bei mir kaum ertasten lassen und zum zweiten ist das DCIS von gesundem Gewebe für den Arzt mit bloßem Auge bei der Operation nicht zu unterscheiden, wird mir erklärt. Mir wird angeraten, mich während der Untersuchung nicht zu bewegen, um ein möglichst genaues Ergebnis zu erzielen.
In der Zwischenzeit betreten zwei Ärzte den Raum, die mir unbekannt sind. Dr. H stellt sich und seinen Kollegen vor. Der zweite Arzt sei anwesend, da sich dieser mit der Methode der Drahtmarkierung, vertraut machen möchte. Es scheint wohl ein relativ neues Verfahren zu sein, welches noch nicht an jeder Klinik durchgeführt wird.
Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen sind und alles an Erläuterungen genannt wurde, kann begonnen werden. Diese komplette Prozedur findet ohne örtliche Betäubung statt. Meine Brust wird zig Male in das Gerät der Mammographie eingespannt und geröntgt, ehe für den ersten Tumor, der Draht in meine Brust eingebracht wird. Für das digitale Einführen des Drahtes, wird meine Brust weiterhin im Gerät der Mammographie gehalten. Wer eine Mammographie schon einmal mitgemacht hat, kann sich vorstellen, wie unangenehm und schmerzhaft dies sein kann. Mittels eines Häkchens am vorderen Teil des Drahtes, verhakt sich dieser im Tumorgebiet und bleibt an Ort und Stelle sitzen. Das Eindringen des Drahtes, verursacht einen kurzen, brennenden Schmerz. Es blutet ein wenig. Wenn ich an mir hinab schaue, kann ich das Ende des ersten Drahtes aus meiner Brust herausragen sehen, der um ein Stück von Herrn Dr. H, gekürzt wird. Die Prozedur ist sicherlich alles andere als angenehm, aber aushaltbar. Vor der zweiten Drahtmarkierung, darf ich mich kurz erholen.
Die Ärzte unterhalten sich über das Verfahren und das weitere Vorgehen, als wenn ich nicht anwesend bin. Wobei dies sicherlich gut ist, Hauptsache, sie machen ihren Job richtig. Aber ich fühle mich elend dabei. Ich kämpfe schwer mit meinen Emotionen. Streiche aufkommende Tränen fort und versuche tief Luft in meine Lungen zu holen, um nicht restlos meine Fassung zu verlieren. Mein Brustkorb fühlt sich schrecklich eng an, kein Atemzug scheint meine Lungen tief genug zu füllen. Es gilt, nicht zusammenzubrechen. Der zugefügte Schmerz ist nicht das Schlimmste, besteht der Sinn ja dahingehend mir zu helfen und den Krebs restlos aus meinem Körper zu verbannen. Die Angst, die immense innere Anspannung, dies jetzt und so viel mehr durchzustehen, nagen an meiner Psyche.
Da ist das Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins in so manche Situation, der man nicht entfliehen kann und das tatsächlich ich diejenige bin, die hier sitzt und dies alles mitmacht und auszuhalten hat.
Die beiden Assistentinnen möchten mich trösten, doch ich wehre ab. Ich habe Angst, den Trost zu nahe an mich heranzulassen und nicht mehr mit dem Weinen aufhören zu können, wenn ich erst einmal begonnen haben sollte. Sie versichern mir während der folgenden Drahtmarkierungen, wie tapfer ich dies alles durchstehen würde. Ohne klagen - ohne jammern - hätte ich doch schließlich allen Grund dazu. Blicke voller Mitgefühl, ein Streicheln über meinen Arm. Sie versuchen mir das Ganze so angenehm als möglich zu machen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Die Prozedur wiederholt sich für den zweiten Tumor in ganz ähnlicher Art und Weise, wie die erste. Währenddessen ich mich von der zweiten Drahtmarkierung erhole, fachsimpeln die Ärzte bei der Betrachtung der bisherigen Mammographien.
Manche dieser Fachsimpeleien lassen mich erschrocken innehalten und ich frage verunsichert nach, ob dies bedeutet, dass sie weitere Kalkfelder in meiner Brust gefunden haben? Mir wird versichert, dass dies nicht der Fall ist, sie nur sicher gehen möchten, definitiv das DCIS aufzuspüren und entsprechend zu markieren. Das DCIS wird als letztes gesucht, quasi um dem Ganzen sein Krönchen aufzusetzen. Und lässt sich erst mal nicht finden. Das DCIS liegt bei vier Uhr auf meiner Brust, ganz in der Nähe meiner Thoraxwand.
Ihr müsst euch eine Brust ähnlich wie eine Uhr vorstellen. Anhand des Zifferblatts einer solchen, wird die ungefähre Lage eines Tumors oder einer gutartigen Veränderung der weiblichen Brust angegeben. Obendrein wird eine Brust von den Ärzten in schematische Quadranten unterteilt. Beide Unterteilungen dienen zur besseren Orientierung und Bestimmung einer Veränderung am Brustdrüsengewebe. Die meisten bösartigen Tumore entwickeln sich im oberen, außen gelegenen Quadranten einer Brust. Die Statistik besagt circa 55%. Also genau dort, wo sich derzeit noch Dick & Doof bei mir tummeln. Das DCIS liegt im zweiten, außen gelegenen Quadranten meiner Brustunterseite. Statistisch betrachtet, entwickeln sich in diesem Quadranten etwa 10% aller bösartigen Tumorerkrankung. In den vergangenen Monaten dachte ich oft, dass ich den ganzen Scheiß offensichtlich in einem Wisch durchrocke und sich in meiner Zukunft gar kein Rezidiv mehr breit machen kann. Einfach, weil alles zu EINER Zeit stattfand!
Das Gerät wird für das Aufspüren des DCIS umgebaut und die benötigten Mammographien, werden nun im Liegen vorgenommen. Nach scheinbar ewig vielen Bildern wird das DCIS nun endlich ausfindig gemacht und der Draht kann angebracht werden. Aber er hält nicht. Er flutscht einfach wieder raus. Somit ein erneuter Versuch und auch ein dritter, bis er sich letztendlich im Gewebe verankert. Die Drahtendstücke werden an meiner Haut verklebt, das ausgetretene Blut entfernt.
Herr Dr. H drückt mir seinen Respekt aus, dass ich die Drahtmarkierung so gut mitgemacht habe und sein Bedauern für den zugefügten Schmerz. Und das Ganze gleich drei Mal!
Aber da kann er ja nichts dafür, denke ich mir. Ist es doch meine Brust, in die sich der Krebs eingenistet hat und es sind meine entarteten Zellen, die beschlossen hatten, zukünftig keinen Selbstmord mehr zu begehen und sich leißig zu vermehren. Er als Arzt und viele andere tragen dazu bei, dass ich den Krebs möglichst für immer besiege. Sie unterstützen mich mit ihrer Erfahrung, gesund zu werden. Er verabschiedet sich mit den Worten, dass er mir für die Operation und die kommende Zeit, alles Gute wünscht.
Nach zwei sehr anstrengenden Stunden, bin ich aus diesem Termin entlassen und werde zu meiner nächsten Anlaufstelle geschickt. Das Vorgespräch mit meiner Operateurin Frau Dr. K steht an, die meine Brüste begutachtet und Anzeichnungen zur Orientierung auf meiner Haut vornimmt. Sie erklärt mir, wie sie die Operation durchführen wird. Sie circa ein Drittel meiner Brust entfernen und auf Grund dessen meine Mammile versetzen wird, um ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis zu erzielen (nicht, das mein linker Nippel zukünftig bei lustvollen Spielen um die Ecke schielt, witzelt es in mir. Galgenhumor bis zum Ende, vertreibt Kummer und Sorgen). Um das entsprechende Gebiet innerlich zu schließen, werden die Felder meiner Brust von der unteren Innenseite nach außen hoch gezogen werden. Wie meine Brust letzten Endes aussehen könnte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, trotz aller Bilder von betroffenen Frauen, die ich mir im Vorfeld, anschaute.
Ich werde es abwarten müssen. Für die Wochen nach der Operation, empfiehlt mir die Ärztin, solle ich gut auf mich aufpassen, um Verletzungen zu vermeiden, da die Brust einige Zeit der Heilung benötigen wird. Justin eher ein paar Tage länger im Kinderhotel bleiben sollte. Es gilt zu vermeiden, dass die inneren Nähte oder die Narbe reißen. Die Ärztin geht davon aus, dass ich keine starken Schmerzen haben werde, auf Grund der Medikamente, die ich während der Operation erhalten werde. Frühestens am Freitag werde ich erfahren, ob ich meine Brust behalten darf.
Komisch, manch anderen betroffenen Frauen, scheint eine Amputation ihrer Brüste so leicht zu fallen. Warum mir dann nicht, warum tue ich mir mit der Vorstellung meine Brust zu verlieren, so verdammt schwer damit?
Innerlich aufgewühlt und körperlich ausgelaugt, gehe ich im Anschluss auf mein Zimmer und versuche zur Ruhe zu kommen, als auch schon wieder eine Schwester im Zimmer steht und mich anweist, mir das Operationshemd und die Kompressionsstrümpfe überzuziehen. Dabei ist bis 13.00 Uhr noch Zeit und ich wäre gerne zur Beruhigung, noch ein wenig spazieren gegangen. Aber das ist mir leider nicht vergönnt. Und so liege ich nun bereits umgezogen für die Operation im Bett und schreibe ein wenig in meinem Tagebuch. Zum Lesen reicht die Konzentration nicht aus. Ich beobachte die ältere Patientin und deren Tochter, die schon heute Morgen im Zimmer lag. Sie ist zur Beobachtung in der Klinik, da sie eine neue Chemotherapie gegen ihre Metastasen bekommt und wird voraussichtlich am nächsten Vormittag entlassen. Da ist sie wieder, die Angst vor den Scheißmetastasen.
Die zweite Mitpatientin, die heute Früh mit mir eingewiesen wurde, steht gerade die Drahtmarkierung durch, wie kurz zuvor ich. Die Zeit bis zur Operation wird lang. Unterhalten mag ich mich nicht. Um 14.00 Uhr liege ich noch immer wie bestellt und nicht abgeholt, in meinem Krankenhausbett. Mittlerweile quälen mich Hunger und Durst und wenn ich Hunger habe und nichts zu essen bekomme, werde ich in der Regel grantig. Ich versuche die Zeit zu verdusseln, in meinem Kopf dreht sich ohnehin alles vor lauter Kopfweh. Die Frau, die heute Morgen mit mir eingewiesen wurde, wird als erstes zu ihrer Operation abgeholt. Sie wirkt unglaublich alt, hat keine Zähne mehr in ihrem Mund und ist scheinbar sehr verfroren. Ihr vermeintlicher Sohn, der sie in die Klinik begleitete, entpuppt sich in den kommenden Tagen, als ihr Mann. Sylvia hat eine sehr seltene Form einer Nervenerkrankung, die sich auf ihre gesamte Muskulatur auswirkt. Auf Grund dessen hat sie sich erst kürzlich all ihre Zähne ziehen lassen, da diese permanent schmerzten. Sie ist nur wenig älter als ich und hat einen vergleichsweise harmlosen Brustkrebs, zur Untermiete. Aber was heißt das schon, wenn ich sie mir anschaue? Schicksal kann manchmal sehr grausam sein, ganz gleich wie.
Zwischenzeitlich verschicke ich SMSen an Freunde und Familie, um darüber zu informieren, dass sich die Operation ordentlich nach hinten verschieben wird. Aber dann geht es doch recht schnell. Gegen 15.00 Uhr, stehen zwei Schwestern im Zimmer. Ich bekomme eine Beruhigungstablette und werde gebeten, ein letztes Mal zur Toilette zu gehen. Ehe ich mich versehe, werde ich mitsamt meinem Bett in den Operationsbereich der Klinik, geschoben. Von einem Vorraum aus, werde ich über eine Durchreiche auf meine Operationsliege befördert, die im sogenannten Schleusenraum steht. Die Liege fühlt sich angenehm warm unter mir an. Ich werde angeschnallt und zugedeckt. Mittlerweile fühle ich mich ziemlich high und schwebe auf meiner rosa Wolke, relaxt dahin. Irgendwie cool. Mir ist herrlich warm und optische Eindrücke, scheinen zu zerfließen. Von diesem Schleusenraum aus, werde ich auf meiner Liege durch einen langen Flur, in einen weiteren Vorraum geschoben. Ein Aaron stellt sich mir vor und legt mir Zugänge in meine Armvene und klebt Piepser hier und dort auf meine Haut, die meine Vitalwerte während der Operation überwachen werden. Kurz darauf stellt sich der Anästhesist vor und ich bekomme die ersten Mittelchen zur Narkoseeinleitung gespritzt.
„Und wenn ich aufwache, ist er weg, der Scheißarschloch Krebs!“
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Im Aufwachraum, komme ich voller Panik zu mir. Es fühlt sich an, als wenn ich einen riesigen Fremdkörper in meiner Nase sitzen habe und versuche diesen zu entfernen. Irgendjemand versucht mich zu beruhigen und da ich mich scheinbar nicht beruhigen lasse, wird mir mein vermeintlicher Popel entfernt. Wie ich später erfahre, war es eine Sauerstoffzufuhr, die mich so sehr irritierte und kein unangenehm auffällig gewordenes Nebenprodukt meines Körpers, welcher mich peinlich berührte. Ich befürchte, ich muss ziemlich dummes Zeug geschwätzt haben im Aufwachraum. Aber vermutlich ist das Pflegepersonal, ohnehin so manchen verwirrten Geist gewohnt. Es sei mir verziehen, ich zumindest tue es. Da ich fürchterlich am Frieren bin, bekomme ich weitere Decken über mich gelegt und ein warmes Gebläse unter meine Decke geschoben. Die warme Luft aus diesem Gebläse fühlt sich sehr angenehm an und entspannt mich zusehends. Als nächstes erinnere ich mich daran, auf meinem Zimmer aufzuwachen, mit einem ordentlichen Gewusel um mich herum. Temperatur als auch Blutdruck werden gemessen, Antibiotikum und Kochsalzlösung über den Port zugeführt. Einen BH solle ich anlegen, am besten einen Sport- BH. Das wir einen Sport-BH mitbringen sollen, wurde uns beim Vorgespräch zur Operation, nicht gesagt. Da schauen Sylvia, meine Mitpatientin, und ich nun beide ein wenig dumm aus der nicht vorhandenen Wäsche, mit unserem Narkose verklärten Blick. Also zieht man mir den einzig verbliebenen BH über, den ich noch besitze. Nicht sonderlich bequem nach solch einer Brustoperation, aber er hält hoffentlich alles schön an Ort und Stelle, wo es hingehören soll für die Zukunft. Dabei kann ich einen ersten Blick auf meine neue Brust erhaschen. Die Wunde ist mit Klebestrips versehen, da ich selbst auf Pflaster für sensible Haut, mit Reizungen reagiere. Meine Brust ist noch bei mir. Und sie sieht tatsächlich aus wie meine Brust. Sie ist immer noch schön, wenn auch erschreckend klein, im ersten Moment. Für die nächsten fünf bis sechs Wochen, heißt es nun Tag und Nacht einen BH tragen, ehe diese Regelung zumindest für die Nacht, gelockert werden darf.
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Beim nächsten langsamen Auftauchen aus der Narkose, sitzt Karlsson an meinem Bett und hält meine Hand. Es ist ein schönes Gefühl, ihn zu sehen. Jegliches Zeitgefühl scheint aufgehoben zu sein. Vor den Fenstern der Klinik herrscht Dunkelheit. Ich dämmere immer wieder weg und bin noch immer sehr am Frieren. Ich frage mit belegter Stimme, ob meine Mutter und Schwester schon da sind. Sie sind wohl zum Shoppen in einem Einkaufszentrum, antwortet mir Karlsson. Darüber sind wir beide am Schmunzeln. Bei einem erneuten Aufwachen, betritt meine Mutter das Zimmer und Karlsson lässt uns alleine. Meine Mutter ist sehr aufgeregt und erleichtert mich zu sehen. Sie wirkt sehr mitgenommen. Sie fragt immer wieder besorgt, wie es mir geht und manch anderes und ermahnt mich im Gegenzug, doch besser zu schweigen und mich auszuruhen, ehe sie mich kaum einen Atemzug später erneut zur Operation und deren Ablauf befragt. Das ist für mich sehr anstrengend und verwirrend, bin ich doch noch immer sehr benommen von der Narkose. Die Ruhe, die mir Karlsson im Vorfeld schenkte, ist weg. Nachdem meine Mutter sich davon überzeugt hat, dass es mir unter diesen Umständen soweit gut geht, sitzt kurz darauf meine kleine Schwester an meinem Bett. Ich bin so unendlich erleichtert, dass ich die Operation bewältigt habe und mit meiner Brust aufgewacht bin, dass ich dafür kaum Worte habe. Ein Teil in mir glaubte wohl bis zuletzt, dass ich nach dem Erwachen aus der Narkose feststellen werde, eine Amazone zu sein. Lasse meine Schwester einen ersten Blick auf meine Brust werfen, denn das, was ich zuvor an Brust erspähen konnte, sieht eindeutig wie eine Brust aus und ich möchte ihr, und vielleicht auch mir, die Angst vor meiner veränderten Brust nehmen. Ich bekomme aufmunternde Worte geschenkt, Streicheleinheiten und erleichterte, liebevolle Blicke meiner Schwester. In meine Hand legt sie mir einen grünen Stein, auf meinen Nachttisch ein kleines Mitbringsel. Ich liebe Geschenke. Nur der Stein in meiner Hand irritiert mich sehr, der mir wohl dabei helfen soll, heil zu werden, wie mir meine Schwester erläutert. Eine Gabe, die vermutlich mehr ihr, als mir hilft.
Mit meiner kleinen Schwester spreche ich über das Problem des Sport-BHs, der mir für die nächsten Tage fehlt. Den BH, den ich mit Hilfe einer der Stationsschwestern als Provisorium anzog, fühlt sich nicht bequem an. Er kneift und zwickt schon jetzt. Ich bitte sie mit Karlsson zu besprechen, welche Größe und Kriterien ein solcher erfüllen sollte und dass er mir bei seinem nächsten Besuch, bitte einen mitbringt.
Schon recht bald verabschiedet meine Schwester sich und ich bitte sie, sich gut um unsere Mutter zu kümmern, da diese sehr mitgenommen auf mich wirkte.
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In der Nacht erhole ich mich von der Narkose und finde zum Glück weitestgehend Schlaf, nur gelegentlich unterbrochen von der Unruhe meiner Mitpatientinnen und der Nachtschwester, die mir intravenös ein Antibiotikum zur Prophylaxe verabreicht.
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Der nächste Morgen, fühlt sich schon gleich besser an. Die Schwere der Narkose aus meinem Kopf, hat sich im Laufe der Nacht verzogen. Der Wundschmerz in meiner Brust hält sich in Grenzen. Wenn man bedenkt, was sie in der jüngsten Vergangenheit alles durchgemacht hat, bin ich sehr dankbar. Klar, zum Bäume ausreißen dürfte ich mich hinten anstellen betreffend meiner Kräfte, aber es geht mir soweit ganz gut. Frühmorgens wurden wir von der Frühschicht sehr zeitig aus den Betten gebeten. Die Schwestern, die sich um meine Vitalwerte und um meine Wunde kümmern, bekräftigen immer wieder, wie gut gelungen meine neue Brust sei und das man von der Narbe später kaum etwas sehen wird, auch wenn diese relativ groß ist. Sie führt mittig die Außenseite meiner Brust zu meiner Mammile hin und einmal um diese herum.
Später am Morgen, lasse ich mir ein erstes Frühstück schmecken. Vormittags darf ich unter Aussparen meiner Brust, bereits vorsichtig duschen. Dabei sehe ich zu, möglichst viel von dem orangefarbenen Sterilium zu entfernen, welches meinen Oberkörper verunziert.
Ich wage es dabei kaum, meine Brust und mich im Spiegel zu betrachten. Ich bin mir vertraut und doch so fremd. Ich ziehe meine eigenen Wohlfühlklamotten über. Wie angenehm sie sich auf meiner Haut anfühlen und gut schnuppern. Ein Stück Normalität und Zuhause in der Fremde. Von Stunde zu Stunde fühle ich mich zunehmend fitter. Mein Mittagessen sieht nicht wirklich Appetit anregend aus und ich lasse es größtenteils zurückgehen. Mir ist in den vergangenen zwei Wochen ohnehin aufgefallen, dass sich meine angesammelten Chemokilos, langsam verflüchtigen.
An diesem Morgen, bekommen wir eine neue Mitpatientin zugewiesen. Jutta, ein wenig älter als ich und viel und gerne am Plaudern. Ihr steht eine große Unterleibsoperation bevor. Dabei stellen wir fest, dass sie in Oberursel lebt, wie ich einst vor langer Zeit mit meinem Ex-Mann und Justin. Sie scheint ein richtig warmer Gefühlsmensch zu sein. Ihre größte Sorge vor der Operation ist, dass sie in den ersten Tagen nach der Operation nichts essen darf, da sich die inneren Nähte erst soweit gefestigt haben müssen, ehe sie mit Flüssignahrung beginnen kann. Ich kann ihr das gut nachempfinden, da ich bei Hungerattacken wirklich richtig schnell ungehalten werde.
An meinem BH entferne ich im Laufe des Tages mit Hilfe der Schwestern, die Bügel aus den Körbchen des BHs, da diese sehr unangenehm auf der operierten Brust aufliegen. Meine Brust ist mittlerweile deutlich geschwollen. Über die Drainage wird nur wenig Wundflüssigkeit abgeführt, so dass diese im besten Fall am nächsten morgen gezogen werden kann. Ein gutes Zeichen. Später am Tag wage ich einen ersten Spaziergang und drehe einige Runden in einem Minigärtchen, um schneller fit zu werden. Obendrein trinke ich viel Wasser und Tee, um die Narkose schneller auszuleiten.
Die Sozialarbeiterin der Klinik, stellt sich im Laufe des Tages vor. Sie schenkt mir ein Brustkrebskissen in Herzform. Es hat genau die Farben in einer Musterkombination, die ich so gar nicht mag und mich an Bodybuilderhosen aus den 80ern, denken lassen. Diese Herzkissen werden in liebevoller Handarbeit hergestellt und an Betroffene wie mich verschenkt, um nach der Operation Wundschmerzen zu lindern. Aber das wusste ich damals nicht. Aufrichtiges sorry, von mir undankbares Ding...
Die Sozialarbeiterin möchte unter anderem besprechen, welche Möglichkeiten ich für mich nutzen sollte. Zum Beispiel würde man direkt von der Klinik aus, einen Behindertenausweis für mich beantragen. Sie rät mir dringend dazu, gerade im Hinblick zu meinem behinderten Sohn, dass ich doch auf jeden Fall eine Anschlussheilbehandlung durchführen sollte. Oh je, schon wieder dieses Thema. Ich hatte mich doch bereits dazu entschlossen, keine AHB zu machen. Erneut komme ich ins Wanken, hinsichtlich meines Bauchgefühls und meiner Entscheidung. Sie meinen es ja alle gut, wenn sie mir eine solche Maßnahme empfehlen. Wissen sie nur zu gut, welche Strapazen Krebspatienten in der Zeit ihrer Therapien durchmachen. Nur möchte ich das nicht. Es fühlt sich nicht stimmig an. Ich wünsche mir ein Stück weit Abstand und Leichtigkeit zu gewinnen von dem Komplettpaket Kliniken, Krankheit und Therapien. Die Sozialarbeiterin der Klinik lässt mir die Unterlagen vorsorglich da und ich solle mir das Ganze in Ruhe überlegen. Ich möchte von Justin jedoch einfach nicht mehr zu lange getrennt sein. Eine Anschlussheilbehandlung läuft in der Regel über wenigstens drei Wochen. Das ist lange in meinen Augen - und wir beide hatten in den letzten Jahren einfach zu viele Klinikaufenthalte. Grummel...
Am frühen Abend steht Karlsson überraschend im Zimmer. Waren wir doch erst für Donnerstagnachmittag verabredet, um auch Justin den Besuch bei mir im Krankenhaus zu ermöglichen. Anstelle von Blumen hat Karlsson mir einen schicken Sport-BH der Firma Triumph mitgebracht. In Weiß. Sehr weich und angenehm von seinem Material und ohne störende Nähte. Die Schwestern, die mir später helfen ihn anzulegen, sind begeistert über diesen, weil er perfekt sei. Und dazu noch von einem Mann ausgewählt. WoW! Ja, so ist er, mein Karlsson.
Über seine Erzählung, wie er an diesen gekommen ist, kann ich mich köstlich amüsieren und nur Danke sagen, für seine Zeit und Mühe, die er sich mit allem, was er mir an Aufmerksamkeiten schenkt, gibt.
Sylvia ist ganz überrascht zu hören, dass wir kein Paar sind. Wir würden so vertraut und innig im Umgang miteinander wirken. Manch einer denkt das. Ist aber nicht so.
Alles in allem, bin ich mit dem ersten Tag nach der Operation zufrieden. Ich hoffe so sehr, dass alles an Tumorzellen erwischt wurde. Ich meine kleine Schwesterbrust behalten darf und ich sie auf das feinste Gesund pflegen darf. Sie mir nicht doch noch amputiert werden muss.
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Der zweite Tag nach der Operation, dient weiterhin der Erholung und so schade es ist, dass Ergebnis des Pathologen steht noch nicht zur Verfügung. Somit darf ich mich weiterhin in Geduld üben. Dafür kann die Drainage am Vormittag gezogen werden, da keine weitere Wundflüssigkeit über Nacht ausgetreten ist. Welch eine Erleichterung, von dieser Seite. Meine Brust fühlt sich ohne den Schlauch in ihr gleich viel besser an. Wir Frauen auf dem Zimmer unterhalten uns zwischenzeitlich angeregt. Ich beantworte Fragen, wie es mir unter der Chemo erging, bekomme Komplimente über mein Glätzchen gemacht und wie gut sie mir doch stehen würde. Sylvia erzählt uns von ihrer alles anderen, als leichten Kranken- und Leidensgeschichte. Wir, ihre Zuhörerinnen, sind zutiefst betroffen.
Am Nachmittag ist Besuchszeit und unser Zimmer innerhalb kurzer Zeit, nahezu übervoll. Justin wirkt sehr verunsichert bei unserer Begrüßung. Wagt es kaum mich anzusehen, geschweige denn zu umarmen. Er fehlt mir so sehr in diesem Moment, obwohl mein Bub doch hier bei mir ist. So mache ich den Vorschlag, dass wir im Außenbereich ein kleines Stück spazieren gehen, um ihm seine Unsicherheit zu nehmen. Aufgeregt erzählt Justin mir, dass Toni im Wagen auf ihn wartet. Wo sie geparkt haben und wie toll die Fahrt in Karlssons Wagen war und vieles mehr. Da ist er wieder. Mein Bub, wie ich ihn kenne. Er kann es gar nicht abwarten, die Heimreise über die Autobahn in Richtung Aschaffenburg anzutreten und die Zeit mit Karlsson, für eine seiner geliebten Herrentouren zu nutzen. Ich verspreche Justin am Wochenende, in der Lebenshilfe zu besuchen. Ich verabschiede die beiden mir liebsten Männer und schaue ihnen nach, wie der Wagen um die nächste Ecke, meinen Blicken entschwindet.
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Freitagvormittag, steht meine operierende Ärztin Frau Dr. K im Zimmer und bittet mich zu dem sehnlichst erwartenden Gespräch, in ihr Büro. Ich meine ihr ansehen zu können, dass sie nicht die erwünschten Ergebnisse von Seiten der Pathologie, für mich mitbringt. Sie eröffnet mir, dass sie eine gute und eine weniger gute Nachricht für mich hätte. Meine beiden restlich verbliebenen Tumore konnten im gesunden Bereich vollständig entfernt werden. Dass sie eine Restgröße von einmal 3mm und einmal 6mm aufwiesen und die Chemotherapie somit als Erfolg gilt. Bei dem DCIS sieht es leider anders aus. An einem Randbereich wurden weitere Tumorzellen gefunden. Da ist er nun, der gefürchtete Moment, in dem mir Frau Dr. K eröffnen wird, dass meine Brust amputiert werden muss. Erneut werde ich überrascht. Trotz dessen, dass sie bei der ersten Operation nicht das komplette DCIS im gesunden Bereich entfernen konnte, mit dem benötigten Sicherheitsabstand an den Randgebieten, empfiehlt sie mir ein weiteres Mal brusterhaltend zu operieren, da ich nach wie vor über ein ausreichendes Brustvolumen verfügen würde. Vorausgesetzt, ich würde eine weitere brusterhaltende Operation wagen wollen? Dass sie ihr Bestmögliches versuchen wird, mir diese so schön als möglich zu konstruieren.
Ja, ich will es versuchen. Dass ich die zweite Operation so schnell als möglich folgen lassen möchte, da ich für kommende Woche Samstag Theaterkarten in Darmstadt habe, auf die ich mich sehr freue, sprudelt es aus mir hervor. Hab ich sie noch alle, frag ich mich selbst beim Zuhören? Obendrein erkläre ich Frau Dr. K, dass ich meinen Sohn schnell wieder Zuhause haben möchte, da er derzeit auf Grund seiner Behinderung, in der Lebenshilfe betreut wird.
Nach Sichtung ihres Terminkalenders, schlägt sie mir den kommenden Montag für die zweite Operation vor. Ich betrachte sie während unseres Gesprächs. Die Ärztin ist sehr hübsch, hat wunderschöne, lange, blonde Haare und ist sehr zierlich. Im Verhältnis zu ihr, fühle ich mich unförmig groß und dabei sie hält so viel von mir in ihrer kleinen Hand.
Ein weiteres Mal will ich versuchen meine Brust zu retten. Auch wenn es unvernünftig erscheint. Das Wochenende darf ich zu Hause verbringen und mich erholen. Zuvor muss ich nur einen weiteren Termin in der Anästhesie wahrnehmen. Besorgt frage ich nach, ob es denn auch wirklich sinnig ist, mir meine Brust zu erhalten? Ob dieser Schritt denn keine bodenlose Leichtsinnigkeit bedeutet? Sie beruhigt mich mit Worten, die ich heute vergessen habe. Versichert mir, dass sie anhand des Pathologieberichts ganz genau verfolgen kann, an welchen Randgebieten Tumorzellen gefunden wurden, auch wenn sie diese mit bloßem Auge bei der Operation nicht erkennt, da dieses Gewebe von Gesundem nicht unterscheidbar ist.
Nach dem Gespräch fühle ich mich erneut erschlagen und zutiefst enttäuscht. Enttäuscht, dass die Operation auf der einen Seite zwar ein voller Erfolg war, da sich die Tumore endgültig aus mir verabschieden durften, aber das dieses Scheiß DCIS, nicht restlos entfernt werden konnte.
Also, alles noch einmal durchlaufen. Und erneut warten, bis es aus der Pathologie heißt - ja, wir haben alles erwischt oder - es tut uns leid, es sind weitere Tumorzellen vorhanden.
Jutta, meine Mitpatientin, sieht mir gleich an, was los ist. Ich mag nicht reden, fühle mich wund und erschlagen. Ich rufe Karlsson an und bitte ihn mich abzuholen, nachdem ich ihm mit wenigen Worten, den Stand der Dinge mitteile.
Anschließend mache ich mich auf den Weg zur Stationsleitung, hole meine Unterlagen ab und suche die Anästhesie auf. Etliche Leute warten auf ihren Termin. Manch einer der sehr ungehalten über seine Wartezeit ist und dies entsprechend lautstark vermittelt. Vor allem, als ich nach kurzer Wartezeit zum Arztgespräch aufgerufen werde. Selbst mein Glatzköpfchen scheint die Leute nicht ruhig halten zu wollen. Was solls, Hauptsache, ich bin dran. Ich lasse mir ein weiteres Mal das Verfahren erklären, setze meine Unterschrift unter die Einwilligungserklärung und rausche mit erhobenem Haupt an den Wartenden vorbei, zurück auf Station. Unglücklich packe ich meine Tasche und lasse mich von Jutta und Sylvia ein wenig trösten. Jutta verspricht mir, dass sie dafür Sorge tragen wird, dass mein Bett am Fenster, in meiner Abwesenheit freigehalten wird. Die Stationsleitung verspricht es mir ebenso. Wie eigen wir Menschen doch sind, selbst in Situationen wie diesen.
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Am Telefon informiere ich meine Mutter darüber, dass es nötig ist, dass ich ein weiteres Mal operiert werden muss und verabrede mit ihr, dass sie mich am Samstag zu Justin in die Lebenshilfe begleitet. Damit wir uns kurz sehen können und ich ihm weitere Kleidung vorbeibringen kann, da sein Aufenthalt nun definitiv um einiges länger ausfallen wird, als geplant.
Karlsson bringt mich auf direktem Weg nach Hause und ist rührend um mich besorgt. Den Abend jedoch mag ich alleine verbringen. Am Abend verkrümle mich auf mein Sofa und fühle mich seltsam. Nicht ganz hier, aber auch nicht dort. Wo auch immer hier und dort sein mag.
Meine Schwester Mela ruft mich mit Tränen in der Stimme an. Wie leid es ihr tut, dass ich erneut operiert werden muss. Ich teile ihr mit, dass ich nicht telefonieren mag, mich das alles zu sehr schmerzt. Ich möchte nicht getröstet werden und nichts erklären müssen. Ich möchte nicht reden, mit niemandem. Nach dem Gespräch bin ich am Weinen, als wenn es kein Halten mehr gibt. Mein Kopf schmerzt von zu vielen Tränen, mein Inneres zersprungen. Ich fühle mich zutiefst verloren.
Du Scheißarschlochkrebs, ich hasse dich!!!
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Die Nacht habe ich alles andere als gut geschlafen. Alpträume, die mich immer wieder aus dem Schlaf reißen. Panikattacken, die mich weit weg von hier und jetzt wünschen. Ich will das schaffen, ich will und werde den Krebs überleben und ihm ein ordentliches Schnippchen schlagen, mache ich mir Mut. Für heute möchte ich die Dämonen der Nacht verjagen, ein wenig Schlaf finden und für kommende Woche Kraft schöpfen. Alles andere werde ich entscheiden, wenn es soweit sein sollte. Manche Nächte sind grausam, wirken so unentrinnbar. Frage mich, wie viel ein Mensch ertragen kann, ehe er endgültig zerbricht und aller Mut aufgebraucht scheint?
Zum Frühstück serviert mir mein Ex-Mann eine entzückende SMS. Es sei ihm erneut nicht möglich, Justins Unterhalt pünktlich zu zahlen. Zu einem späteren Zeitpunkt erfahre ich, dass er sich zeitgleich zu einem Iron-Man-Wettkampf auf Hawaii befindet. Ein Schelm, der Böses denkt. „Arschloch, der Blödmann, der Doofe!“ wütet es in mir. Im Vergleich zu allem anderen, ist das nur Kleinvieh. Es ist einfach nur ärgerlich, lästig und unnötig bitter...
Später in meiner Badewanne sitzend, überkommt mich erneut die Heulerei und ein großes Zähneklappern. Ein Nervenzusammenbruch der feinsten Art, lässt grüßen. Ich bin über mich selbst erstaunt, was ich an Tränen und Toben alles lostreten kann. Ich bekomme Angst vor meiner eigenen Reaktion. Irgendwann sollte doch auch mal wieder gut sein, schimpfe ich mit mir. Das mit mir selbst schimpfen, scheint Früchte zu tragen. Nach und nach fange ich mich, das Weinen und Toben lassen nach und ich kann über mich hysterisches Nacktwesen, welches hemmungslos heulend in der Badewanne sitzt, erstmals wieder lachen.
Meiner Mutter, erläutere ich das Gespräch mit der Ärztin wenig später und erkläre ihr das weitere Vorgehen der zweiten Operation und ihrer möglichen Folgen. Gemeinsam packen wir Justins Sachen, die er für seinen verlängerten Aufenthalt in den kommenden vierzehn Tagen in der Lebenshilfe, benötigen wird. Meinen Sohn in der Lebenshilfe zu besuchen, fällt mir schwer. Es ist eigenartig ihm dort zu begegnen, da es nicht unser gewohntes Umfeld ist und ich nur eine Besucherin. Er möchte so gerne Nachhause. Versteht kaum, warum dies nicht möglich ist.
Noch eine Scheißsituation, die es auszuhalten gilt...
Mit der Leiterin der Lebenshilfe bespreche ich alles weitere für die kommenden Tage. Mir wird versichert, dass mit Justin viel unternommen wird, damit er nicht auf trübe Gedanken kommt und er immer von einer ihm vertrauten Person, betreut wird. Ein Teil von mir ist froh, ihn in der Lebenshilfe auf das Beste versorgt zu wissen und einfach gehen zu dürfen. Froh, seinen großen, mit Tränen gefüllten Augen, entfliehen zu dürfen.
Sonntags fühle ich mich emotional bereits wesentlich gefestigter und schaue zuversichtlich auf den kommenden Montag und die erneute Operation. Ich kann sogar ohne größere Probleme selbst Auto fahren und nutze dies am Mittag, zu einem Besuch bei Maria und ihrem Mann. Die Stunden bei beiden zu verbringen, ist eine Wohltat. Ich wurde auf das Beste verwöhnt und umsorgt. Es wurde über meine Sorgen gesprochen und vor allem viel gelacht, in Gesellschaft einer Flasche Prosecco. Ich fühle mich aufgefangen, ein Stück Leichtigkeit wurde mir geschenkt. Mit den besten Wünschen geht es am frühen Abend, nach Hause.
Mit Karlsson bin ich für den späteren Abend verabredet. Die Nacht wollen wir wie vor der ersten Operation, bei ihm Zuhause verbringen, da wir am kommenden Morgen erneut sehr früh in Richtung Frankfurt starten müssen.
Ruhe stellt sich auch in dieser Nacht nur für wenige Momente ein. Die Anspannung vor der zweiten Operation fühlt sich diesmal um ein vielfaches größer an, als eine Woche zuvor. Ein Teil meiner Hoffnung zerschlagen. Ich bin heilfroh, als es die Uhrzeit endlich erlaubt, aufzustehen und in die Klinik starten zu können. Wie in der Woche zuvor, verabschiede ich Karlsson recht bald nach unserer Ankunft. Frau Dr. K hatte mich letzte Woche Freitag bei unserem Gespräch wissen lassen, dass ich unter Umständen lange auf meine Operation warten muss.
Es ist schön Jutta begrüßen zu dürfen, der es merklich besser geht. Mein Bett am Fenster wurde tatsächlich für mich freigehalten. Das Gefühl, ein erprobter Hase in diesem Marathon namens Krebsbehandlung zu sein, stellt sich erneut ein.
Eine recht verschroben wirkende Patientin, ist neu auf dem Zimmer und ich beäuge sie neugierig. Ganz offensichtlich eine Chemopatientin, wie mir Jutta schon bald im Flüsterton bestätigt, als diese das Zimmer kurz verlässt. Und das sie tatsächlich eigenartig sei, bestätigte sie mir meinen ersten Eindruck. Ebenfalls neu auf dem Zimmer, ist eine weitere Patientin mit wunderschönen, langen, gelockten Haaren, die sich letzte Woche vor der Anästhesie darüber echauffierte, dass ich von der Anästhesistin bevorzugt behandelt wurde. Es ist immer wieder erstaunlich zu erleben, dass man sich durchaus mehrfach im Leben begegnet.
Bereits gegen 10.00 Uhr, werde ich zu meiner zweiten Operation abgeholt. Keine lange Wartezeit, sehr schön. Ein letztes Mal zur Toilette - ein weiteres Mal die herrliche rosa Pille einwerfen - ein erneutes Mal im Krankenhausbett durch die Flure geschoben und das Wechselspiel der Leuchten und Deckenplatten über mir bestaunen - das Überwechseln in den Schleusenraum - letzte Vorbereitungen für die Operation - Aaron stellt sich mir erneut vor, den ich von letzter Woche wiedererkenne und bei dem ich mich nun für mein Gelaber im Aufwachraum, in aller Form entschuldige - Frau Dr. K, die aus dem Operationssaal kommt und mich fragt, wie es mir geht - ich erzähle ihr, dass ich mit meiner Freundin gestern eine Flasche Prosecco getrunken habe und sie sich bitte nicht wundern solle, wenn ihr eine Alkoholfahne aus meiner Brust entgegen wehen wird - um 10.06 Uhr hält mein Blick zum letzten Mal die Uhrzeit fest, will sich an ihr festhalten - ich habe Angst einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen - Injektion - Maske - ich bin weg und kurz nach Mittag bereits auf meinem Zimmer. Das ging schnell. Ich bin aufnahmefähiger als eine Woche zuvor, aber sehr müde.
Am Abend sitzt Karlsson an meinem Bett und hält meine Hand, hört meinem Geplapper zu und erzählt mir von seinem Tag. Morgen kommt er mich erneut besuchen und am Mittwoch bringt er mir Justin mit. Das Erholen von der Narkose fällt mir schwerer nach der zweiten Operation. Meine Brust fühlt sich diesmal verhärtet an um die Wunde, schmerzt deutlich und transportiert auch mehr Wundflüssigkeit über die Drainagen ab. Frau Dr. K besucht mich am nächsten Morgen und berichtet mir vom Verlauf der Operation. Dass sie in der zweiten Operation ein Stück vom Muskel entfernte, um die restlichen Tumorzellen möglichst vollständig zu eleminieren. Ob ich denn zufrieden sei mit dem Operationsergebnis, fragt sie mich? Ich weiß kaum, wie ich ihr antworten soll. Sicher, ich habe mich morgens im Spiegel betrachtet. Ich wage es jedoch kaum, sie anzunehmen. Zu groß ist die Angst vor einer erneuten Ernüchterung und Enttäuschung. Trotz allem, ist das optische Ergebnis nach der Operation vielversprechend. Ungewohnt klein und in allen Farben schillernd. Aber mein. Meine, kleine Schwesterbrust...
Die Nachwirkungen der Narkose bekomme ich auch an diesem Tag mit kleinen Spaziergängen an der frischen Luft und viel trinken, relativ gut in den Griff. Die Lady im Nebenbett, scheint diesbezüglich größere Probleme zu haben. Sie wünscht auch heute nur zu schlafen und nicht gestört zu werden. Weder von uns, noch von ihrer Familie. Eine Primadonna lässt grüßen...
Die Stationsschwestern sind überrascht, wie rasch ich mich von dem zweiten Eingriff erhole. Ich halte so manchen Plausch mit anderen betroffenen Frauen auf der Station und verkürze mir den Tag mit Musik hören, lesen, Gedanken nachhängen, Plaudereien mit Jutta, mich verwundern über die zweite Brustkrebspatientin auf dem Zimmer, die eine völlig andere Herangehensweise an ihre Diagnose wagt, als ich.
Maria besucht mich überraschend am späten Nachmittag, fix und fertig nach der Fahrt durch den Frankfurter Verkehr und einigen ungeplanten Umwegen. Es ist schön, sie zu sehen. Karlsson gesellt sich wenig später zu uns. Ich vertraue Maria an, dass ich früher oft dachte, dass es gefährlich ist mit ihr befreundet zu sein, da so viele aus ihrem Umfeld an Krebs erkrankten. Nur hätte ich nie gedacht, dass es eines Tages mich treffen würde. Maria, ist sehr erschrocken über meinen Gedankengang.
Heute ist der 20. Oktober, zwei Tage nach der zweiten Operation. Morgens, kurz nach der Visite. Ich bin ganz aufgeregt. Die Ärztinnen teilten mir mit, dass meine Patientenakte an diesem Morgen der Tumorkonferenz vorgestellt wird. Somit ist vermutlich auch das Ergebnis, aus der Pathologie da. Die Schwestern und meine Mitpatientinnen, drücken mir die Daumen für einen positiven Befund. Die Anspannung lastet schwer auf mir. Die Drainage drückt mir auf die Rippen. Die werde ich vor morgen wohl auch nicht entfernt bekommen; es läuft noch zu viel Wundflüssigkeit nach. Lästiges Ding! Gegen 11.00 Uhr betritt die Stationsärztin das Zimmer und strahlt mich an. Worte sind da kaum noch nötig. Mir stehen Tränen in den Augen vor Erleichterung.
Bei der erneuten Operation konnte ein großer Sicherheitsabstand, größtenteils bis zu 7mm erreicht werden, erläutert sie mir. Nötig ist ein Sicherheitsabstand von 3mm. Ferner berichtet sie mir, dass Tumorzellen bereits die Lymphbahnen meiner Brust besiedelten, dies aber an meiner Prognose nichts ändern würde. Auf Grund dessen, dass ein Teil des Muskels entfernt wurde, hätte ich diesmal die etwas stärkeren Schmerzen und die vermehrte Wundflüssigkeit.
Unter anderem ist die Tumorkonferenz zu der Empfehlung gekommen, mir zusätzlich zu dem Tamoxifen ein weiteres Präparat zur Reduzierung meiner Östrogenbildung, zu empfehlen. Eine monatliche Spritze namens Zoladex, die meine Eierstöcke quasi in einen Ruhemodus versetzen sollen. Auf Grund meines Alters, eine „Wenn - Kann - Option“. Mit beiden Medikamenten, sollte ich bereits vor dem Start der Bestrahlung, beginnen. Wenn die Drainage am nächsten Tag gezogen werden kann, dürfte ich anschließend nach Hause. Darüber hinaus wird im Arztbericht ebenfalls die Empfehlung ausgesprochen, dass ich für die nächsten drei Jahre halbjährlich Zometa erhalte. Darüber kann ich mich ebenfalls sehr freuen, da das Zometa nun tatsächlich über die Krankenkasse abgerechnet werden kann.
Erfüllt von großer Dankbarkeit, umarme ich die Ärztin über ihre Eröffnung, dass ich ab sofort Krebsfrei bin. Ich kann mein Glück kaum fassen. ICH BIN
KREBSFREIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!