Es ist Nachts vier Uhr, es findet sich kein Schlaf und dabei bin ich nicht mal verliebt – wie langweilig so des Nachts alleine mit seinen Gedanken zu verbringen.
Es ist nicht mal völlig still in dieser Nacht. Irgendwo in diesem Mehrfamilienhaus kruschelt immer ein Geräusch und von Ferne lässt sich das stetige Rauschen der A3 vernehmen.
Doch, die höre ich tatsächlich von unserem Zuhause aus, dabei liegt diese ordentlich weit entfernt von uns. Nachts tragen Geräusche einfach völlig anders, bekommen eine andere Bedeutung bisweilen. Frage mich so unsinniges, wer zu solchen Unzeiten beständig unterwegs sein mag - manchmal huschen mir Bilder von vermeintlich übermüdeten Truckfahrern durch den Kopf, reisenden Handelsvertretern und einsamen Seelen, die nachts alleine unterwegs sind auf der A3, mit dem Band der Autobahn unter sich und dabei ihrem vermeintlichen Ziel folgen oder doch eher ziellos durch die Nacht Kilometer um Kilometer hinter sich bringen, um nicht grübeln zu müssen.
In wenigen Tagen steht der Vollmond am Himmel und ich vermute, dass ich auf Grund dessen nicht schlummern kann – der Schlaf meines Sohnes stellte sich auch erst gegen Mitternacht ein. Jetzt schläft er tief und fest zufrieden in seinem Bett und träumt hoffentlich schönes. Meinen Sohn nachts in seinem Bett zu sehen, in all seiner Verletzlichkeit, erlaubt mir immer wieder einen Blick in seine kleine Jungenzeit zu erhaschen, mit all ihrer Weichheit und süßen Schwere – das ist immer wieder ein schöner Moment für mich – diese Momente oder einfach das Wissen Justin zufrieden und sicher in seinem Bett zu wissen, vermisse ich an ihm vielleicht am meisten, wenn er seine Zeit im Internat verbringt.
Ich bin wohl mal wieder sentimental...
Die Hälfte seiner Ferienzeit ist vollbracht.
Es ist schön ihn um mich zu haben, wenn bisweilen doch auch recht anstrengend.
Weil er ist ja immer um mich herum. Nicht mal eben zu einem Freund für ein paar Stunden oder gar bei der ersten großen Liebe seines Lebens, beim Sport, beim Feiern oder was andere 16 Jährige sonst so tun in ihren Ferien. Wie sehr würde ich ihm solche Erlebnisse wünschen...
Er braucht nach wie vor große Unterstützung beim kompletten Handling seines möglichst strukturierten Alltags. Möchte möglichst schon jetzt wissen, was er denn als übernächstes zu tun hat, ob denn dann auch alles gut geht, ein Parkplatz für uns vorhanden ist wenn wir zum Beispiel unterwegs sind, es nicht zu voll ist unterwegs auf den Straßen des Lebens, Mama gut Auto fährt und ich den Weg auch wirklich kenne( immer sehr süß wenn er anfängt Skizzen zu zeichnen für mich als Wegbeschreibung oder Einkaufszettel kritzelt – er dabei nicht mal seinen eigenen Namen schreiben kann).
Justin kann sich ungeheuer auf ein Ereignis freuen; kann einen stellenweise schier wahnsinnig machen mit dem Abrufen aller Informationen die er für sich mental zur Vorbereitung benötigt – ist der sehnlichst herbeigewünschte Moment jedoch da, ist dieser schon wieder nichtig und sein Denken eilt auf kommende Momente voraus.
Wie zum Beispiel einem Kinobesuch.
Von dem Augenblick an, von dem er weiß das wir einen Kinobesuch starten, kreist alles um dieses Ereignis. Kann sich auf nichts anderes mehr konzentrieren, als das es möglichst bald losgeht und alles was im Vorfeld erledigt werden sollte, was denn so anstehen mag, ist die reinste Zumutung.
Da mag er jetzt manch anderem Teen gleichen, aber es gibt halt keinen Puffer zwischen uns und er braucht nach wie vor bei den kleinsten alltäglichen Anforderungen nahezu komplette Übernahme in der Pflege und Unterstützung bei vielen Begebenheiten des Alltags, mit umfassender verbaler Unterstützung, um nur halbwegs am Ball zu bleiben und seinen Alltag zu meistern.
Sobald er weiß, es ist eine Aktion geplant( sei es nur Einkaufen gehen), holt er sich den für ihn entsprechend relevanten Schlüssel( Haustürschlüssel oder wenn wir definitiv mit dem Auto unterwegs sein werden, dann diesen) von der Ablage im Flur, wartet angenervt( weil ich immer ach so lange Zeit benötige) in seinem Zimmer auf den Augenblick, wenn es nun endlich losgeht und lässt selbst im schlimmsten Fall auf Stunden den Schlüssel in seiner Hand kreiseln und erinnert mich auf die unterschiedlichste Art und Weise daran, dass ein Kinobesuch ansteht. Nicht das ich diesen vergesse. Holt sich zwischenzeitlich verbal alle Informationen ein, die um das Thema Kino anstehen, überlegt und plant, treibt mich vermeintliche Trödlerin zur Eile an.
Da Zeit für ihn ein schwerer Begriff ist und er zum Beispiel eine Stunde Wartezeit nicht kalkulieren kann, steht für ihn ein Wecker bereit, der klingelt sobald die geplante Losgehzeit ansteht und mich ein klein wenig entlastet, weil Justins Fokussieren stellenweise auf den Wecker ausgerichtet ist, anstatt auf mich.
Ihn aus diesem Zustand des Wartens herauszuholen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Sitzen wir jedoch im Kino, nimmt er sich einen Teil seines Erlebnisses, weil er gedanklich schon wieder dabei ist, unsere Heimreise zu planen.
Zum Glück kann ich ihn gedanklich oft abholen und ihn ein kleines Stück im Jetzt verankern und vor allem Ruhe schenken, damit er sich auf die sehnlichst herbeigewünschten Ereignisse einlassen kann.
Nicht immer alles ganz einfach – ich befürchte, wenn mein Urlaub sich seinem Ende nähert, bin ich tatsächlich Urlaubsreif!
Dafür kann ich vermelden, dass ich vor einigen Tagen meinen ersten Minipferdeschwanz gebunden habe – er ist wirklich noch so richtig mini Mini und nicht Ausgehtauglich, eher so eine Art Entenbürtzel. Aber eindeutig ein im werden begriffener Pferdeschwanz. Hipp Hipp Hurra...:D
Am Anfang nach all dem was ich durchgestanden habe, wollte ich ja keine langen Haare mehr tragen – aber das Gefühl meiner langen Haare vermisste ich schon sehr, auch wenn mir das kurze Haar gut gestanden hat und steht.
Die anfängliche Angst meine Haare erneut zu verlieren, war einfach zu groß. Aber mit jedem Monat der vergeht, wächst ein Zentimeter Haar und Zuversicht und schält sich der vertraute Anblick von meinem früheren ICH aus dem Spiegel.
Da meine Haare sehr glatt und fein wie ehedem nachgewachsen sind, ohne eine einzige berühmte Chemolocke, konnte ich sie nicht einfach rauswachsen lassen, hatten in meinen Augen immer einen gescheiten Schnitt nötig, um Chic auszusehen.
Jetzt sind sie soweit, dass ich sie beidseits hinter meine Ohren nehmen kann und das fühlt sich einfach nur wunderbar vertraut an.
Im April war ich zum letzten Mal beim Friseur, davor war ich spätestens alle zwei Monate.
Am 10 September habe ich meinen nächsten Termin – dem Jahrestag meiner letzten Chemo vor drei Jahren.
Genau der richtige Tag um mir einen chicen Übergangsschnitt zu schenken. Mit Glück sind sie im nächsten Frühjahr Schulterlang. Ich freu mich drauf...
Ach ja, und noch einen Tipp an die Mädels unter euch, die eventuell eine Chemo vor sich liegen haben: Schaut doch bitte in eure Ausweise rein! Läuft einer ab in den nächsten Monaten, dann schnellstens noch neue Bilder machen lassen, weil besser ist das!
Sonst geht es euch wie mir – in meinem Reisepass prangt ein Bild in schönster Verbrechermanier...;-)
Mein derzeitiger absoluter Lieblingssong von Cäthe, Tabula Rasa, den höre ich mir zum Abschluss der Nacht an und hoffe auf einige wenige Stunden Schlaf für mich...Kinners, es ist fünf Uhr morgens!
Schlaft gut da draußen
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