Panik auf der Titanic

Am Freitag nahm ich für meinen Sohn den Termin in der orthopädischen Uni-Klinik Heidelberg wahr - Befundbesprechung der Ganglaboranalyse stand an mit dem Doc, der ihn mit meinem damaligen Doc (sehr, sehr toller Arzt) des absoluten Vertrauens für die Beine meines Summsemanns, 2008 und 2009 operierte.


  • zweieinhalb Stunden Hinfahrt
  • eine Stunde warten auf den Termin mit dem Doc
  • ein Gespräch von gefühlten fünf Minuten geführt
  • im engen Jeansrock hinübergetrippelt in die orthopädische Werkstatt, da Sohnemanns neue coolen Orthesen im Punk-Style abgeändert werden müssen, damit seine sensiblen Füße nicht unnötig autschen;
  • ordentlich fachgesimpelt mit medizinischen Technikern, die stellenweise unvorstellbares leisten und mit uns Eltern und deren Kindern gegenüber einen menschlich warmen Umgang pflegen - viel Wert und leider nicht immer selbstverständlich!


Es gibt soviel menschliches Leid in dieser Klinik zu sehen (oder auch in der Schule meines Sohnes) – die meisten von euch können sich nur schwer vorstellen, wie grausam Schicksal manches mal tatsächlich sein kann! So grausam, dass selbst ich manchmal nicht weiß, wie reagierst du jetzt in genau diesem besonderen Moment? Vor allem wenn ich ohne Justin unterwegs bin und somit nicht ersichtlich zu dieser Gruppe von Menschen gehöre, die solch und ähnliches Leid aus eigener Erfahrung zur Genüge kennt? Denn manchmal wird eine freundliche Geste von uns besonderen Eltern missverstanden – falsches Mitleid wollen wir nicht...besondere Familien stehen unter einem enormen Druck – oftmals von Geburt eines Kindes an...und alle wichtigen Termine potenzieren diesen Druck! Bedeuten einen unvorstellbaren zusätzlichen Stress aus den unterschiedlichsten Gründen...und Blicke oder so mancher gut gemeinter bis hin zu äußerst dummen Sprüchen, können eine zusätzliche Tortur für uns und unsere Kinder darstellen.

Zum angestrebten Zeitpunkt konnte ich meine Heimfahrt antreten...galt es ja auch rechtzeitig Zuhause zu sein, da mein Sohn aus dem Internat zu seiner üblichen Zeit nach Hause kam und er auf gar keinen Fall vor verschlossener Tür hätte stehen sollen. Auf der Heimfahrt nicht verhindern können, dass mir erst mal die Tränen gepurzelt sind! Taschentuch nicht griffbereit, aber dafür das Lenkrad fest in der Hand und das Band der Autobahn sicher vor mir...


Tja - die Luxusbeine meines Sohnes...


Ganz klar – Langzeitergebnis nach der Op schaut gut aus (allerdings frag ich mich – wie schauen die Beine anderer Kinder nach solch einer Tortur nach Jahren aus????) Ich weiß wie das linke Bein meines Sohnes ausschaut und vor allem wie er mit seinem innengangrotierenden Bein läuft – dass er nicht in der Lage ist, seinen linken Fuß adäquat beim Gehen anzuheben und dieser beim Gehen ebenfalls nach innen gerichtet ist und er auf Grund dessen vermehrt Sturz gefährdet daher geschlurft kommt – es gibt ja auch nicht umsonst die Empfehlung, sein linkes Bein erneut zu operieren. Ok, nicht dringend angeraten – aber sie ist keinesfalls vom Tisch, die OP – sondern in greifbahrer Nähe...

Erstmal schauen wie die Botulinumtoxintherapie (das ist ein Nervengift, welches sich manche Leute ins Gesicht spritzen lassen, die darauf stehen, eine glattgebügelte Visage der Öffentlichkeit zu präsentieren – Achtung – Grimasse ziehen und Lachen verboten - es könnten ja neue Mimikfältchen entstehen!!!!) auf seine Adduktoren einwirken wird – in den Jahren bis zur ersten Operation der Beine 2008, bekam er diese alle vier Monate unter Sedierung beidseits in die Beine gespritzt.

In den Herbstferien steht der erste Termin an – zum Glück gibt es an diesem Tag wunderbare Begleitung und Unterstützung für uns...dann wird alles nur halb so schlimm werden! Ganz bestimmt...

Es ist nicht schön zu sehen wie dein Kind vor deinen Augen sediert wird – es ist so schlimm zu sehen wie seine Augen und sein Körper wegdriften und er dennoch scheinbar wach ist – es ist nicht schön, trotz aller Professionalität die ich mir als Mutter erworben habe, mein Kind während der Einspritzungen zu halten und wir stellenweise ihn zu DRITT halten mussten, damit er gespritzt werden konnte – und heute ist er doppelt so groß und ich ebenfalls gehandicapt!!!

Aber ich mach das!!!! Ich mach das aus Liebe!!!! Ich mach das, weil ich für mein Kind das Beste will, was manchmal so wenig von dem ist, was gesunde Heranwachsende oder ihre Eltern als selbstverständlich erachten....


Auf jeden Fall wird die Botulinumtoxintherapie in einem größeren Umfang erfolgen, wie nach der Ganglaboranalyse  im Bericht empfohlen wurde.

Das ist gut so. In der großen Hoffnung, dass das Nervengift meinem Kind dabei hilft, dass seine starken Kontrakturen nachlassen und er es schafft aus seiner Hüft- und Kniekippose zu kommen. Dadurch hat er hoffentlich die Möglichkeit gerade aufgerichteter Laufen zu können und Muskeln aufzubauen. Aber dem linken Bein wird es laut Doc nicht helfen, aus dem innenrotierenden Bereich zu kommen. Hmmmmm...aber erstmal hilft es hoffentlich!!!??? Da würde eben doch nur ne OP im knöchernen Bereich helfen, laut Doc. Hmmmm...aber jetzt schauen wir erstmal.


  • Bein auf...
  • Knochen durchsägen oberhalb des Knies...
  • unteren Teil des Beins drehen, sodass dieses gerade steht...
  • Platte druff, Schrauben rein...
  • Zumachen – feddisch...
  • vier Wochen solle das Bein geschont werden und dann wieder – Go Justin Go!!!!


Aber irgendwie machen die Docs immer mehr. Dann wird da doch nochmals ein Muskel angeschnitten oder ein Adduktor ododod???? Erneut Nachtlagerungsschiene? Erstmal vermehrt wieder Rollstuhl, wieder nur verkürzte Sitzzeiten wie auch 2008 und 2009??? 2008 war traumatisch für uns beide - ganz ehrlich! Kein Wunder, dass ich in den letzten Wochen gelegentlich mit Panikatacken des Nachts aufwache - so mit allem...

Justins Volljährigkeit steht an – nix da von Führerschein, Abitur und ersten alkoholischen Abstürzen oder so in Reichweite! Aber jede Menge Behördengänge, Ämter, Anwalt usw. Keine Fotoalben gefüllt mit Urlaubsbildern die ich meinem Kind vererben kann – sondern reich gefüllt mit Bildern aus Therapien, Operationen und so´nem anderen Gedöns! Es wird nicht weniger, es wird nur anders. Aber - es wird alles gut, gell????

 

Jetzt sitzt der junge Mann zufrieden bei uns Zuhause auf dem Sofa und ist - zufrieden mit sich und mir. Mein absoluter Lieblingssong derzeit für euch....

 

Lasst es euch gut gehen...

Euer Frollein Wunderfein

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