Eiskalte Hand

© Harald Peter Fotografie
© Harald Peter Fotografie

Heute ist der Tag, an dem mein Sohn seinen Vater nach fast 16 Jahren zum ersten Mal begegnet ist.

 

Am Abend zuvor hab ich ihn leise darauf vorbereitet, dass er morgen seinem Papa begegnen wird. Seine direkte Reaktion darauf war ein kurzes Schluchzen  und meine Bestürzung darüber groß. Zeigte sie mir, dass ich das vergangene unglückliche Jahr mit allem unschönen, nicht gänzlich vor ihm verbergen konnte. Zu groß meine Sorgen...


Karlsson begleitete uns zu dem Termin in Hessen. Zum einen als mentale Stütze und zum zweiten um Justin vor dem Verhandlungsraum in Empfang zu nehmen, da Justin der Richterin nur kurz vorgestellt werden sollte, damit sie, der Anwalt seines Vaters und sein Vater überhaupt wissen, über welchen Menschen sie heute verhandeln, der zwischen so viele Aktendeckel eingeschlossen ist.


Sein Vater sichtete uns im Gericht und reichte uns mit knapper Begrüßung seine eiskalte Hand. Er begrüßte seinen Sohn nach bald 16 Jahren, wie einen x-beliebigen Menschen. So anders als Justin, der Menschen gerne eine Umarmung schenkt und diesen dadurch eine tiefe Zuneigung schenkt und das Gefühl, eine besondere Wertschätzung verspürt zu haben.

Im Verhandlungsraum setzte Justin sich direkt gegenüber der Richterin, an die zweite Stirnseite eines großen Tisches, zur linken Seite seines Vaters. Mir erschien dieser Moment sehr skurill. Zwei Menschen verbunden durch ein Kind, die sich schon lange nichts mehr zu sagen haben, ua weil der Vater des Kindes erwartet, von diesem in seinem Leben nicht belästigt zu werden. Der sich mit den Worten aus dem Leben seines Kindes verabschiedete, dass er zu solch einem Kind, keine emotionale Bindung aufbauen könne...


Justin nahm kurz am Geschehen teil, ehe er schon wieder den Raum verließ. Der Rest des Termins ist nicht sonderlich erwähnenswert. Nicht schön. Ohne bereichernde Momente. Ob die Personen, die an dem Tisch saßen, überhaupt begriffen haben, wie hart das Rechtssystem mit Menschen mit Behinderungen umgeht? Das wenn es zwar heißt was du alles beantragen kannst, es letzten Endes aber noch lange nicht bedeutet, dass du dies auch bekommst? Weil es immer eine Gesetzeslücke gibt, damit du eben doch wieder durch die ganzen Raster fällst? Und wie schwer es ist, immer und immer wieder erneut gegen Mauern anzurennen, die sich für dich dennoch nicht öffnen? Ich glaube nicht. Unser unsicheres Gefüge bleibt weiterhin bestehen. Hab nicht gewonnen, aber auch nicht verloren. Haushoch verloren hat hingegen eine andere Person. Menschlich. Ein Vater, der nie Vater war. Ein Sohn, der nach heute nicht wünscht, seinem Vater erneut zu begegnen. Eine Richterin, die es als so rührend empfand, dass ein Sohn seinem Vater heute nach so vielen Jahren zum ersten Mal begegnete. Das es doch schön sei, wenn die beiden wieder zueinander finden könnten?


Zum Abschied gab es keine eiskalte Hand. Nur ein wehender Mantelaufschlag ohne Gruß, der lange vor mir den Raum verließ...

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Kommentare: 1
  • #1

    Ulrike (Dienstag, 24 November 2015 21:35)

    Oh man... immer diese eiskalten Hände und dämlichen Gesetzeslücken, die versuchen einen das Leben schwerer zu machen!!!
    Chapeu! Was du da alles so wuppst...
    Dein Sohnemann kann sich unglaublich glücklich schätzen, dich zu haben...!!!
    Und das Foto ist wunderschön!

    LG, Ulrike

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