Iris

 „Warum ich, warum jetzt?“

 

Das war mein erster Gedanke nach der Diagnose „Brustkrebs“.

Er hat mich sehr beschäftigt, bis ich die Situation angenommen und den Kampf gegen diese heimtückische Krankheit aufgenommen habe.

Genau genommen war ich die ersten drei Monate nach der Diagnosestellung in einem Vakuum, das dunkler nicht hätte sein könnnen. Ich habe mich von der Welt abgeschottet und völlig zurückgezogen. Selbst meine Familie konnte keinen Zugang zu mir finden.

 

Der einzige Mensch, der in dieser Zeit Tag und Nacht bei mir war und alle Varianten meiner Stimmungen erlebt hat, war mein Mann. Er hat in der ganzen Zeit eine Stärke und Zuversicht ausgestrahlt, die irgendwann auf mich abgefärbt hat. Und natürlich war er auch der Grund, warum ich all die Therapien auf mich genommen habe. Denn ich wollte für „uns“ überleben.

Bei der Diagnosestellung waren wir gerade ein Jahr verheiratet. Das gemeinsame Leben hatte gerade erst begonnen. Es gab noch so viel zu tun und zu erleben, aber plötzlich wusste ich nicht mehr wie viel Zeit mir bleibt. Ein Gedanke, den man mit 33 Jahren eigentlich nicht hat. Man lebt jeden Tag so selbstverständlich. Es ist absolut normal, dass man gesund ist, geliebt wird, arbeiten darf. Aber dann ändert sich mit einem Schlag, mit einem Satz, einfach alles und nichts kann diesen Fall ins Bodenlose aufhalten. Es hat lange gedauert, bis ich die Dimensionen der Diagnose und die damit verbundenen Einschränkungen in meinem Leben, akzeptieren konnte.

 

Die nüchternen Fakten waren: 1,5 Jahre permanente Krankenhaus Besuche, eine optische Totalveränderung und das berufliche Aus. Im Grunde die Totalkatastrophe und genauso fühlte ich mich, als mir mein behandelnder Arzt Professor M. den Therapieplan eröffnete:

Tumor Entfernung, 16 Chemotherapien, davon vier monatlich und 12 wöchentlich, 38 Bestrahlungen über vier Wochen täglich, 1 Jahr alle drei Wochen eine Herzeptin-Infusion über den Port (ich bin HER2 positiv) und über 5 Jahre eine Tamoxifen-Behandlung.

 

Die Vorstellung war so unfassbar und grausam, dass ich diesen Weg schlicht abgelehnt habe. Meine Kämpfernatur hat sich darauf konzentriert, einen anderen Weg, eine andere Lösung zu finden. Ich dachte, es muss doch im 21. Jahrhundert etwas weniger Grausames geben, das zur Heilung führt, als dieser Weg. Meine Familie und mein Mann waren entsetzt. Keiner konnte verstehen, warum ich nicht alles tun wollte, um diese Krankheit zu überleben. Und ich konnte einfach nicht verstehen, warum mich niemand versteht. Letztlich war es wieder mein Mann, der mich dazu bewogen hat, meine Entscheidung zu revidieren. Er fragte mich ganz direkt, ob ich mit der Situation leben könnte, nicht alles für meine Heilung getan zu haben? Ob ich nicht jeden Morgen mit der Angst aufwachen würde, das der Krebs noch da ist und sich ausbreitet? Die Entscheidung zur ersten Chemotherapie zu gehen, habe ich aber erst in der Nacht davor getroffen.

Mein Mann hat mich ins Klinikum gefahren und ich fühlte mich an diesem Morgen stärker als je zuvor. Denn jetzt wollte ich es und jetzt gab es auch keinen Weg zurück. Ich habe auch abgelehnt, dass mich jemand in die Onkologie begleitet, denn jetzt war es mein Kampf und ich wollte weder, dass man mich am Tropf hängen sieht, noch wollte ich Mitleid. Das hätte mich schwächer gemacht und ich wollte nur noch stärker werden.

 

Ich hatte das große Glück, die Chemotherapie ohne Schmerzen und starke Nebenwirkungen zu überstehen. Was für mich in dieser Zeit besonders wichtig war, war meinen Alltag neu zu strukturieren und ihm einen Sinn zu geben. Ich war von heute auf morgen nicht mehr im Berufsleben und mein einziger Termin einmal im Monat war der Krankenhaus-Termin. Das war für mich eine ganz massive und brutale Umstellung. Denn mein Berufsleben war bis zum Zeitpunkt der Diagnose sehr bewegt und spannend. Ich bin als TV-Journalistin mit der Formel 1 um die Welt gereist und habe das Red Bull Racing Team um den deutschen Formel 1 Fahrer Sebastian Vettel filmisch begleitet.

 

Das waren aufregende Jahre, in denen ich die Welt gesehen und viele interessante Menschen interviewt habe. Im Grunde habe ich auch mein Hobby zum Beruf gemacht, denn für mich gibt es nichts Schöneres als zu reisen. Irgendwo habe ich mal den Spruch gelesen „To travel is to live“. Das sagt eigentlich alles über mich aus. Ich fühle mich lebendig, wenn ich reise und daher war es für mich absolut klar, dass ich damit „nur“ wegen der Krebserkrankung nicht aufhöre. Für mich war es eine Art Überlebens- und Durchhaltestrategie. Nach der ersten Chemotherapie sind mein Mann und ich für ein paar Tage nach London geflogen. Es ist unser „happy place“, weil wir uns am Flughafen London-Heathrow kennen gelernt haben. Dieses Wochenende war in vielerlei Hinsicht sehr emotional, weil es viele schöne Erinnerungen geweckt hat, aber auch genau in London die ersten Haare ausfielen. Für mich eine der ganz schmerzvollen Momente, denn ich habe meine langen blonden Haare geliebt und hatte schon große Probleme sie radikal zu kürzen. Aber als die Haare dann ausfielen, war klar, bald habe ich eine Glatze. Es wird furchtbar werden. Das war es dann auch. Als wir wieder zu Hause waren, hat mein Mann mir meine Haare rasiert. Der Anblick im Spiegel war grausam. Jetzt war ich nicht nur körperlich krank, sondern sah auch so aus. Diesen Schlag zu verarbeiten, hat mich viel Kraft gekostet. Da half leider auch die Perücke nicht viel, die meinen „alten“ Haaren sehr ähnelte, aber eben nicht mein echtes Haar war. Dennoch habe ich sie sehr geliebt, weil mir wichtig war, nicht krank auszusehen oder bemitleidet zu werden. Von meinen echten Haaren habe ich übrigens meinen langen blonden Zopf behalten. Das war für mich unendlich wichtig. Er liegt nun seit vier Jahren in meiner Erinnerungskiste, in der ich viele Dinge aus dieser Zeit aufbewahre.

 

Mein Alltag war also nun mit Perücke und in Krankenhäusern, nicht an den Rennstrecken dieser Welt. Ein Einschnitt der härter nicht hätte sein können. Aber ich habe einen Weg gefunden, die Zeit sinnvoll und positiv zu gestalten. Dazu hat besonders der Sport und die Ernährung gehört. Ich hatte gelesen, dass man seine Heilungschance dadurch um 50% verbessern kann und das war für mich ein starker Antrieb. Ich fing schon während der Chemotherapie an zu joggen. Zunächst war das wohl eher ein schnelleres Walken und natürlich hatte ich nicht die Kraft, die man als gesunder Mensch hat. Aber ich fühlte mich dadurch stark und fit. Ich bin bei jedem Wetter laufen gegangen. Wichtig war mir einfach die Bewegung und die positiven Emotionen, die ich dadurch bekommen habe. Es gab keine Sekunde, in der ich mich dazu zwingen musste. Im Gegenteil, es war eher ein Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit, wenn ich draußen im Wald war. Ich konnte atmen und klar denken. So geht es mir bis heute, denn ich habe das Joggen beibehalten. Als Ausgleich zum Joggen habe ich angefangen Yoga zu praktizieren und die Zen-Meditation zu erlernen. Gerade die Meditation hat mir sehr geholfen, meine Angst vor dem Tod zu verarbeiten, Ruhe und Gelassenheit in mein Leben zu bringen und eine innere Balance herzustellen.

 

Als die Haare wieder anfingen zu wachsen, war mein Mann so begeistert von der Frisur, dass er mir dazu riet mich bei Modelagenturen zu bewerben. Ich hielt das für einen schlechten Scherz. Wer will denn eine Krebspatientin als Model buchen? Da ich aber noch immer krank geschrieben war und einige Fotos parat hatte, fing ich an Modelagenturen in ganz Deutschland anzuschreiben. Das Feedback war überwältigend. Ich bin zu Set-Card Shootings verschiedener Agenturen eingeladen worden und kurze Zeit später hatte ich die ersten Aufträge. Von der Krebspatientin zum Fotomodel. Ich wurde für Print, Plakat und TV-Kampagnen gebucht. Plötzlich sah ich mich im Fernsehen oder auf großen Plakaten. Es war wirklich wie ein Traum und die Bestätigung, dass der Krebs dich zwar optisch verändert, aber nicht hässlich macht.

 

Mittlerweile bin ich zurück im Berufsleben und arbeite seit 3 Jahren wieder im Motorsport. Das macht mich sehr glücklich, denn ich habe den Weg zurück in die Normalität geschafft. Ich reise für Porsche um die Welt, berichte von spannenden Rennen und erlebe meinen Beruf intensiver als je zuvor. Für mich ist jeder Tag ein Geschenk, jede Reise, jede Begegnung mit Menschen ein Highlight. Ich sehe die Dinge sehr viel klarer als früher, lebe intensiver und mache mir wenig Gedanken über die Zukunft. Denn ich habe gelernt, dass sich das Leben von einem Tag auf den anderen schlagartig verändern kann. Daher verfolge ich den Gedanken, den ich im Zen gelernt habe: „Im Hier & Jetzt zu leben“. Ein australischer Schauspieler, der leider viel zu früh an Krebs gestorben ist, hat für sich das Motto „Be here now“ ausgegeben. Ich denke, genau darum geht es im Leben.

 

Wenn man es geschafft hat, diese Krankheit zu überleben, hat sich alles verändert, aber eben auch manches zum Guten. Man ist einfach dankbar für jeden Tag. Auch mein Leben ist ganz sicher nicht mehr so, wie es vorher war. Ich bin nicht mehr blond, sondern dunkelhaarig, ich arbeite wieder, aber achte mehr auf meine Bedürfnisse. Ich grüble nicht mehr so viel über Dinge, die mich belasten und habe eine unbändige Lebensfreude. Ich bin mir aber auch darüber bewusst, was ich hinter mich gebracht habe und möchte meine Erfahrungen weitergeben. Denn die Diagnose trifft täglich viele Frauen weltweit und sicher steht jede einzelne davon vor so einem Abgrund wie ich vor vier Jahren.

 

Daher habe ich mit meinem Mann und einem engagierten Team das soziale-medizinische Netzwerk limipi (www.limipi.com) gegründet. Limipi steht für „like-minded-people“ und meint damit Gleichgesinnte, die sich auf unserer Online-Plattform zu einem medizinischen Thema austauschen können. Das Prinzip ist ähnlich wie bei „Linked in“ oder „Xing“, nur eben für Patienten.

Man kann sein Alter, seinen Ort und seine Erkrankung eingeben und so Menschen mit ähnlichem Schicksal treffen. Das wirklich Einzigartige ist jedoch das medizinische Matching, das wir gemeinsam mit Ärzten entwickelt haben.

So kann beispielsweise eine Frau, die an Brustkrebs erkrankt ist, ihre genauen medizinischen Parameter eingeben, um eine andere Frau mit exakt dem gleichen Tumor zu finden. Denn jeder Tumor hat andere Ausprägungen und es können schnell Fehlinformationen unter Patienten entstehen.

Limipi ist durch mein Schicksal entstanden, aber natürlich finden sich auf der Plattform neben Brustkrebs viele andere Erkrankungen und medizinischen Themen. Sollte eine Krankheit noch nicht gelistet sein, haben User die Möglichkeit sie vorzuschlagen. Wichtig ist uns, dass bei limipi jeder willkommen ist: Betroffene, Angehörige und Freunde. Denn jeder hat Fragen, wenn es um einer Krankheit oder die Begleitung eines Erkrankten geht. Es ist unsere Vision, dass wir durch limipi vielen Menschen Hoffnung und Zuversicht geben können, denn nichts ist wichtiger in dieser schweren Zeit.

Dafür arbeiten wir jeden Tag. Für mich stellt sich deshalb nicht mehr die Frage, die mich vor vier Jahren umtrieb „Warum ich, warum jetzt“, denn in limipi habe ich die Antwort gefunden.


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