Ja, was hat er denn?

Ja, was hat er denn?

 

Das ist eine Frage, die mir in den letzten Jahren über meinen Sohn oft gestellt wurde und mich innerlich immer wieder straucheln lässt. Weil, was erzähle ich meinem Gegenüber jetzt, der von mir eine einfache Antwort erwartet, die ich ihm so jedoch nicht geben kann?

 

Fange ich an, mit:

  • bilaterale spastische Zerebralparese (ICP, GMFCS Level II)

  • Hirnfehlbildung mit Migrationsstörung und Balkendysplasie

  • Gleichgewichtsstörungen

  • Innengangrotiertes Gangbild links > rechts

  • Sekundäre Knick-Plattfüße beidseits

  • Globale Entwicklungsstörung

  • Autismus-Spektrum-Störung

  • schwere Sehstörung mit Behinderung der Blickkoordination (somit kein räumliches Sehvermögen, vermutlich Farbenblind)

  • schwere Sprachentwicklungssstörung / Apraxie?

Spätestens bei Punkt zwei sehe ich dem Fragesteller an, dass er nichts von dem verstanden hat, was ich ihm gerade über die Diagnosen meines Sohnes erzählt habe und belasse es meist bei der sehr kurzen und pragmatischen Zusammenfassung:

 

 Justin wurde mit einer schweren Mehrfachbehinderung geboren! Punkt...

 

 ...und erzähle meinem Gegenüber im nächsten Atemzug viel lieber davon, welch liebevoller und lebensfreudiger Mensch mein Sohn ist!

 

In den letzten Tagen bin ich wieder einmal auf einen Post via Facebook aufmerksam geworden, unter dem heiß diskutiert wurde, inwieweit das Leben eines Menschen mit Down Syndrom oder ein behinderter Mensch überhaupt lebenswert sei. Wie viele von ihnen eine Abtreibung gut heißen und als die richtige Entscheidung bei der pränatalen Diagnostik benennen: für mich als Mutter meines Sohnes, ist dies immer wieder erschütternd zu lesen...

 Ich versuche schon gar nicht mehr hinzulesen, weil mich die Ignoranz der Menschen jedes Mal aufs neue zutiefst verletzt. Zeigt sie mir doch immer wieder, dass der größe Teil unserer Gesellschaft über meinen Sohn und seine Freunde nicht anders urteilt, als:

 

DEIN Leben ist nicht lebenswert!

 

4% der jährlich geborenen Kinder in Deutschland, werden mit einer Behinderung geboren. Laut dem statistischen Bundesamt wurden 2015 738.000 Kinder geboren. Unter ihnen wurden demnach +- 29.520 Kinder mit den unterschiedlichsten erschwerten Startbedingungen ins Leben geboren. Hinter jedem Kind steht eine Mutter, ein Elternpaar, eine Familie und Freunde...

 

WIR als Gesellschaft sollten endlich lernen, diesen Kindern und ihren Familien, die Startbedingungen ins Leben und als Familie wesentlich zu erleichtern. Wir brauchen multidisziplinäre Teams von Menschen, die im Sinne für das Kind und seiner Familie, einen Versorgungs-, Therapie- und Hilfeplan aufstellen (ähnlich einem Tumorboard), Abbau von bürokratischen Hürden schaffen (nahezu wir alle haben immer wieder unendliche Kämpfe mit Behörden und Krankenkassen zu kämpfen, die jeden von uns eine immense Kraft kosten. Und das über JAHRE hinweg!!!!), wir benötigen innovative Wege, die uns und unsere Kinder hinaus aus der Abseits- und Armutsfalle bringen...

 

INKLUSION ist eine Haltung. Eine Haltung, von der ALLE in unserer Gesellschaft profitieren können.


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Kommentare: 1
  • #1

    Achim Schäfer (Samstag, 09 September 2017 05:42)

    Ich finde es wundervoll wie du dieses Thema ansprichst,denn in der heutigen Zeit sollte es eigentlich keine Vorurteile mehr geben!Und das Leben ist immer Lebenswert und Kostbar!!!!Liebe Grüße von uns allen!!!

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