Wie ich das Radfahren lernte und warum ich mich für krebskranke Menschen engagiere.

 Ein Blick hinter die Kulissen.

 

„Du musst mich aber immer festhalten!“, sagte ich zu meinem Papa, als wir die Stützräder von meinem pink-gelben Fahrrad abschraubten. Wir liefen zur Wiese vor unserem Garten. Eine große Wiesenfläche, mit einem alten, dicken Baum an der Seite, am Ende eine Tischtennisplatte und das Vereinshaus der Gartenanlage daneben. „Ja, das mach ich! Wir sind ja auf der Wiese, da kann nichts passieren. Fahr los, ich halte dich!“, antwortete er mit einem sicheren Ton. Ich hielt mich an meinen pinken Lenkergriffen fest, setzte den rechten Fuß auf die Pedale und trat los. Ich hatte keine Angst. Papa hielt mich schließlich am Hinterrad fest und rannte neben mir. Wenn ich ins Wackeln kam, motivierte er mich weiter zu machen. „Nicht schlimm, steig wieder auf. Es ist nichts passiert!“ rief er mir zu. Wir übten das einige Male auf der Wiese, bis ich allein fahren konnte. „Komm, wir probieren das mal auf dem Weg, dann kannst du dort auch allein fahren.“ Er meinte den schmalen, glatten Steinweg zwischen den Gartenlauben unserer Gartenanlage namens „Sorgenfrei“. „Du musst jetzt schön gerade fahren, Annelie! Ich laufe neben dir und halte dich.“ Er brauchte mich nicht einmal halten, denn die Sicherheit war da: Papa fängt mich auf!

 

Ich hatte eine wundervolle Kindheit. Zwei Eltern, die sich und besonders mich liebten. Ich war gut in der Schule, hatte Freunde und bekam stets Rückhalt von zuhause. Wie glücklich ich war, wenn meine Eltern bei einen meiner vielen kleinen Erfolge dabei waren. Chor- oder Schulauftritt, Zeugnisübergabe oder Elternsprechtage. Da saßen sie, nebeneinander. So stolz und glücklich. Sie nahmen mich in den Arm und sagten: „Wir sind stolz auf dich!“, „Das hast du toll gemacht, Annelie!“.

 

Meine Erinnerungen sind so wundervoll, bis zu meinem 12. Lebensjahr. Bis mein Papa an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte und ein Jahr später daran verstarb. Und genau, bis bei meiner Mama Gebärmutterhalskrebs ein weiteres Jahr nach dem Tod meines Papas diagnostiziert wurde. Es folgten mehrere Jahre, in denen meine Mama und ich nur noch funktionierten, den Alltag erkämpften.

 

So schwer wie diese Zeit war, wir haben etwas nie verloren: LIEBE und HOFFNUNG.

 

Nach einigen Jahren schafften wir es wieder uns ein „neues“ Leben aufzubauen. Eines, was uns wieder einen Grundstein gab, auf dem wir neu bauen konnten. „Steig wieder auf und fahr weiter!“, hätte Papa gesagt.

 

10 Jahre lang habe ich nicht über mein Schicksal gesprochen, bis ich mich 2016 dazu entschied den Jakobsweg zu laufen. Ich hatte das Gefühl, da ist etwas in meinem Leben, da ist genau genommen etwas in mir, was ich schwarz ausblende. Worüber ich nicht nachdenke, nichts fühlen möchte, nicht rede, es tut so weh, dass ich es einfach wegdränge. Doch über die Jahre merkte ich, dass der Drang mich davon loszulösen immer größer wurde. Ich liebte meinen Papa so sehr, dass es mir weh tat, nicht an ihn denken zu wollen, genauso wie es mir weh tat, an ihn zu denken.

 

Ich setzte meine Worte in die Tat um. Ich lief im Mai 2017, 450km über den spanischen Jakobsweg. Drei Wochen, ein Rucksack, ein Weg und ich. Das Pilgern brachte mich zurück zu mir selbst, erlöste mich von der ganzen Trauer und der Angst. Das Pilgern gab mir die Liebe meines Papas zurück, brachte mir all die Dankbarkeit, die ich erfahren durfte. Zeigte mir, auf was es wirklich im Leben ankommt. Ich entschied mich meine Geschichte öffentlich zu teilen, andere an meinem Weg teilhaben zu lassen und sammelte Spenden für Kinder krebskranker Eltern. 1135,00€ konnte ich nach meiner Pilgerwanderung an die Berliner Krebsgesellschaft e.V. spenden, eine Geste, die mein Herz so sehr mit Glück erfüllte.

 

Nun, da bin ich jetzt mit meinen 26 Jahren, inzwischen fest davon überzeugt auf dieser Welt zu sein, um anderen Menschen Mut zu machen, sie zu motivieren, ihnen das „Fahrradfahren zu lehren“. Ich stehe neben ihnen, gebe Unterstützung, Halt und Hoffnung. Ich weiß wie schwer eine Krebserkrankung ist. Ich weiß, wie es ist, Angst um jemanden zu haben, den du so sehr liebst, du kannst es nicht in Worte fassen. Ich weiß, wie es ist, wirklich für immer „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn sich der Brustkorb zuschnürt. Aber eines weiß ich ganz genau: Niemals den Mut zu verlieren. Aufsteigen, den Lenker festhalten, in die Pedale treten. Das habe ich von Papa gelernt.

 

Nun laufe ich schon im zweiten Jahr mit einer Gruppe Krebsbetroffener im Mai 2019 für 150km innerhalb von 7 Tagen über den Brandenburger Jakobsweg. Kraft und Lebensmut sammeln und sich selbst wieder vertrauen, das ist das Ziel. All meine Erfahrung, meine Liebe und meine Energie möchte ich den Menschen auf ihren Weg mitgeben und ihnen zeigen: Du bist nicht allein!

 

Seit über einem Jahr schreibe ich regelmäßig ein Tagebuch auf Facebook und Instagram und begleite das Projekt mit meinen Gedanken und Ideen. Eine großartige Community hat sich daraus entwickelt, auf die ich wirklich stolz bin. Ich denke, jeder von uns kann seinen Teil dazu geben, die Welt ein Stückchen besser zu machen. Das hier ist meiner: Gemeinsam Pilgern- Gemeinsam gegen Krebs.

 

Aufsteigen und los geht’s! Tritt in die Pedale!

 

In Liebe,

 

Annelie


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