Sandra - Mutmacher im Doppelpack!

Babybauch und Chemoglatze

 

Es war der 04.02.2015. An diesem Tag änderten drei ausgesprochene Worte einfach alles…

 

Sie… haben … Krebs!“ Ich konnte den weiteren Worten der Ärztin kaum folgen, ich stand unter Schock. „Frau Röpe, Ihr Krebs ist äußerst aggressiv. Wir empfehlen Ihnen dringend, direkt mit einer Chemotherapie zu beginnen.“ Was? Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich in der 20. Schwangerschaftswoche. Es war für mich die schlimmste Erfahrung, die ich in meinem Leben je machen musste. Für mich brach meine ganze Welt zusammen. Es änderte sich schlagartig alles. Ich hatte Todesangst. Angst, die ich kaum beschreiben kann.

 

Mit gefasster Stimme stellte ich der Ärztin eine Frage: „Können wir mit der Chemotherapie nicht warten, bis unser zweites Kind geboren ist?“ Sie sah mich an, wog ihre Antwort gut ab und antwortete mit ruhiger und fester Stimme: „Sie wollen doch Ihre zwei Kinder aufwachsen sehen, oder?“

 

Nach dieser Diagnose und dem Entschluss, eine Chemotherapie während der Schwangerschaft durchzuführen, war mein Kalender voll mit Arztterminen. Der Kleine musste ständig via Ultraschall kontrolliert werden. Vor jeder Ultraschalluntersuchung war ich sehr nervös. Aber jedes Mal sagte man mir „Alles in Ordnung, der Kleine wächst normal. Nichts Auffälliges zu entdecken!“ Bei jeder Chemotherapie rumpelte unser Baby in meinem Bauch. Ich musste weinen, vor Verzweiflung, vor Glück, vor Wut und Angst.

 

Unser großer Sohn Matthis war zum Zeitpunkt der Diagnose knapp 3 Jahre alt. „Mama, ist Deine Brust immer noch krank?“ Diese Worte ließen mich innerlich zusammenzucken. Ich nahm Matthis in den Arm. Was sollte ich sagen? Ich entschied mich, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, jedoch ohne meine Angst auf ihn zu übertragen. „Matthis, noch ist die Brust krank, aber sie wird wieder gesund werden…“ Matthis strahlte, löste sich aus der Umarmung, hüpfte fröhlich zu seinem Spieltisch, schnappte sich aus seinem Arztkoffer das Stethoskop und kam fröhlich zu mir zurück. „Mama, ich mache Dich wieder gesund!“

 

Im Verlaufe der Behandlung kam die nächste Hiobsbotschaft: Der Krebs hatte bereits in die Leber gestreut. Hätte ich die Chemo abgebrochen oder die Therapie erst gar nicht begonnen, wäre ich jetzt sehr wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Rückblickend bin ich froh, es genauso getan zu haben. Ich malte mir oft aus, wie es wohl für Matthis wäre, ohne seine Mutter aufzuwachsen. Würde er es dem Baby je verzeihen, dass ich gehen musste? Ich hätte mich auch für eine Abtreibung entscheiden können. Wenn Gefahr für das Leben einer Mutter besteht, darf man auch nach der 14. SSW die Schwangerschaft beenden. Aber der Kleine bewegte sich ja schon in meinem Bauch, eine Abtreibung kam nicht in Frage.

 

Diese Zeit war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Das Leben gab mir die Aufgabe, in der schönsten Zeit des Lebens auch die schrecklichste Zeit eines Lebens zu ertragen.

 

Von der Chemotherapie während der Schwangerschaft war ich lediglich etwas schlapp. Mir fielen die Haare aus und ich wurde blasser. Ansonsten konnte ich zum Glück relativ normal den Alltag meistern. Emotional war ich auf der einen Seite voller Euphorie, weil ich mich so freute, dass es dem Baby so gut geht. Andererseits war ich voller Angst, ich plante zwischendurch meine Beerdigung, weil niemand mir sagen konnte, ob ich das alles überlebe oder nicht. Meine Ängste konnte ich teilweise kaum ertragen, aber mir blieb nichts anderes übrig, als stark zu wirken. Innerlich war ich am Boden. Äußerlich war ich gefasst, ich hatte ja auch schließlich noch unseren großen Sohn Matthis, dem ich keine Angst machen wollte. Es war extrem schwierig!

 

Mein Mann stand die gesamte Zeit hinter mir, war für mich da, fing mich auf, wenn ich wieder einmal zusammenbrach und Rotz und Wasser heulte. Häufig habe ich nach so einem Ausbruch das Gefühl gehabt, die Ängste schaden unserem Baby. Im Gegenzug habe ich dann für unser Baby gesungen, den Bauch sehr oft gestreichelt in der Hoffnung, er spürt es. Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich große Angst um ihn habe. Genauso oft habe ich ihm gesagt, dass ich mir sicher bin, dass er diese Prozedur übersteht. Dass er es schafft und unbeschadet auf die Welt kommen wird.

Mittlerweile ist Noah* knapp 3 Jahre alt. Er entwickelt sich ganz normal und erfreut sich an jeder Kleinigkeit. Die Freude, ihn jeden Tag sehen zu dürfen und mitzuerleben, wie er wächst und sich macht, ist sehr groß und manchmal weine ich sogar vor Freude.

 



Ich habe ein Buch über meine zweite Schwangerschaft geschrieben. Es heißt: „Babybauch und Chemoglatze“. Mit diesem Buch möchte ich Frauen Mut machen und ein wenig Aufklärung leisten. Einige Zeit nach der Diagnose hatte ich plötzlich das Bedürfnis zu helfen. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, zu helfen und ich habe das Gefühl, ich kann damit helfen. So spende ich z.B. für jedes verkaufte Buch (ob im Buchformat oder als eBook) 0,50 € an eine Krebshilfeorganisation meiner Wahl. Es kommen überwiegend Frauen auf mich zu, die unsicher sind, nochmal Fragen haben und ich berichte über meine Erfahrungen. Und manchen Frauen nehme ich weitestgehend die Ängste. Man ist halt so gesund wie man sich fühlt! Und das treibt mich an, weiterzumachen und offen mit dem Thema umzugehen.

 

Nr. 2: Chronisch krank aber anhaltend glücklich

 

Durch die Metastasenbildung in meiner Leber gelte ich als chronisch krank. Ich habe das große Glück, dass sich die Metastasen unter der Chemotherapie gut zurückgebildet haben und meine Leber inzwischen wieder ganz normal arbeitet.

 

Auf den CT-Bildern sah meine Leber bis vor kurzem noch aus, als hätte jemand mit dem Schrotgewehr draufgehalten. Ich habe dann mit meinem Onkologen gesprochen, er meinte, es sei doch alles stabil. Was da genau noch in der Leber säße, könne man mir so nicht beantworten. Dafür müsse man Gewebe unters Mikroskop legen. Was nicht möglich sei, da die kleinen Stellen in der Leber zu fein wären, um sie stanzen zu können. Ich konnte mich nicht mit dieser „stabilen Situation“, die bereits seit ca. zwei Jahren herrschte, zufriedengeben. Daher habe ich mich selber gekümmert, mich viel belesen, viel hinterfragt und habe letztendlich einen Arzt gefunden, der meine Leber operiert hat. Er nahm die „durchschroteten Stellen“ heraus, entfernte somit ca. 30% des Lebergewebes. Dieses wurde untersucht. Und siehe da: Es wurden keine aktiven Krebszellen mehr gefunden. So hatte ich endlich Gewissheit. Was nicht gleichzeitig bedeutet, dass ich nun als gesund gelte. Das werde ich nie… Aber man ist doch immer so gesund, wie man sich fühlt, oder?

 

Ich erhalte weiter eine so genannte Antikörpertherapie (Herceptin und Pertuzumab), die ich alle drei Wochen auf unbestimmte Zeit verabreicht bekomme. Sie hält das erreichte gute Ergebnis und ich bete und hoffe, dass es genauso die nächsten 50 Jahre bleiben wird. Dass die Erkrankung stabil bleibt und sich nicht wieder ausbreitet. Mit Sicherheit kann mir das keiner sagen.

 

Daher möchte ich jedem Patienten raten: Seid neugierig! Seid mutig! Seid kritisch! Zu viele Fragen gibt es nicht. Es gibt manchmal nur zu wenig Antworten. Holt Euch Rat! Ich habe es mir mittlerweile auch in diesem Feld zur Aufgabe gemacht, anderen Menschen in solchen Situationen beizustehen, Kontakte herzustellen, Erfahrungen auszutauschen und Menschen zu verbinden, die vom Schicksal her gerade denselben Weg gehen. Meine Kontaktliste ist recht groß, ich werde weitestgehend von Mädels im Alter von 25 bis 40 Jahren angeschrieben. Dabei gehe ich mit meiner Geschichte gezielt in die Öffentlichkeit und versuche auch die Menschen zu erreichen, die nicht bei Facebook, Instagram & Co. unterwegs sind. Es muss auch an die gedacht werden, die sich – wie früher gang und gäbe – über Zeitschriften und Nachrichten informieren. Ich hoffe sehr, dass mir das gelingt.

 

Ich sehe die Menschen, wie sie nun leben und danke den Menschen, dass sie mich so an ihrem Leben einen kurzen Moment teilhaben lassen und hoffe einfach, dass ich ihnen weiterhelfen kann. Dass ich ihnen Mut machen konnte. Dieses Leben ist wunderbar, einzigartig und schön!

 

Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, als verharmlose ich diese Krankheit. Das tue ich gewiss nicht. Ich möchte einfach verhindern, dass sie in meinem Leben die Oberhand gewinnt. Und natürlich habe auch ich manchmal noch emotionale Rückschläge. Das klingt nun vielleicht komisch, aber wenn ich doch mal wieder so richtig Angst habe, befolge ich den Rat meines Sohnes Matthis: „Sei ein Dinosaurier!“ Darüber musste ich erst einmal schmunzeln, aber er hat Recht: Dinos waren groß, mächtig, laut, mutig und furchteinflößend. Wenn man so laut brüllt, wie sie es vermutlich getan haben, wenn man so stampft, wie sie es vermutlich getan haben, wenn man so läuft, wie sie es vermutlich getan haben, verschwindet die Angst. Zumindest für eine Weile. Denn selbst die Angst nimmt es nicht mit einem Dinosaurier auf. Versucht es mal, mir hilft es jedes Mal. Matthis und Noah machen mir das oft vor. Und ich liebe es so sehr, wenn sie durchs Haus rennen und so tun, als seien sie Dinosaurier!

 

Nun bin ich am Ende angelangt. Ich danke Euch, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, den Gastbeitrag zu lesen. Ich wünsche Euch allen ein glückliches und vor allem gesundes Leben!

 

Besucht mich gern auf meiner Homepage Babybauch und Chemoglatze, um Euch ein Bild über mich und meine Arbeit machen zu können. Auch bei Facebook findet ihr mich als Babybauch und Chemoglatze und bei Instagram unter dem Namen “sandra_liebt_dieses_leben“.

 

Und nicht vergessen: Seid neugierig und mutig!

 

 Trockne die Tränen und steh auf

Das Leben nimmt weiter seinen Lauf

Es wird anders – das ist klar

 Doch vielleicht auch einfach wunderbar

 

Eure Sandra

*Namen geändert


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