Kommunikation und Begegnungen mit an Krebs erkrankten Menschen

Wenn ich Lesungen aus meiner Geschichte halte, ergeben sich im anschließenden Diskussionsbereich, immer sehr besondere Momente. Oft melden sich zu diesem Zeitpunkt ZuhörerInnen zu Wort, die einen nahen Menschen während seiner Krebserkrankung begleiteten oder aber die selbst erkrankt sind und die sich in meinen Zeilen erkennen und verstanden fühlen. Das sind für mich sehr wertvolle Momente. Bis heute bin ich aber auch immer wieder betroffen, wenn viele von ihnen berichten, wie alleine und im Stich gelassen sie sich während ihrer Krankheitszeit fühlten.

 

Bei einer meiner Lesungen meldete sich eine Frau zu Wort, die einen Freund während seiner Krebserkrankung bis in seinen Tod begleitete. Ich hatte gerade meine Lesung mit den Zeilen Was sich Krebspatienten von ihrem Umfeld wünschen beendet. Ihren Worten zu entnehmen, kümmerte sie sich während seiner Erkrankungszeit sehr rührend um diesen Mann und hatte persönlich ein großes Problem mit seinem Wunsch an sie, seine Erkrankung für eine gewisse Zeit außen vor zu lassen, da er nicht ständig über seinen Gesundheitszustand sprechen wollte. Ihr als Freundin hingegen fiel es unfassbar schwer, seinen Wunsch zu respektieren, weil sie sich ausgeschlossen fühlte.

 

Wenn sich ein Mensch wünscht, für eine Weile nicht über seine raumgreifende Erkrankung zu reden, dann ist das ein sehr klar formulierter Wunsch, der zu berücksichtigen ist. Der Begleiter, sollte sich dann an diesen Wunsch halten.

An anderer Stelle dagegen kann ein guter Gesprächseinstieg zu einem kranken Menschen sein, dass man fragt: "Über welche Themen möchtest Du Dich heute unterhalten?"

 

Das Wichtigste, dass wir im Kontakt mit schwerstkranken und sterbenden Menschen tun können, ist mit ihnen im Dialog zu bleiben. Und wenn uns scheinbar passende Worte oder eine Antwort fehlen, die es oft nicht braucht, ist ein emphatisches Zuhören, ein wertvolles Geschenk im Miteinander.

 

Das Wertvollste, wie wir einem Menschen in einer Krisenzeit begegnen können, sind:

  • ich nehme mein Gegenüber mit seinen Nöten und Ängsten bewusst wahr. Ich schenke ihm meine Zeit. Ich höre zu und nehme mich als Persönlichkeit zurück, um dem anderen den Raum zu seiner Entfaltung zu geben, ohne mich dabei zu verbiegen. Wenn ich als Persönlichkeit in einer Begegnung nicht authentisch bin, der andere mir eine Last ist oder ich ihn ablehne, spürt dieser meine Haltung
  • Wertschätzung für mein Gegenüber und ein bedingungsloses Zueinander stehen, sind ein wichtiger Schlüssel in der Kommunikation mit kranken Menschen. Denn erst wenn ich mein Gegenüber in seinen Wünschen und seinen Bedürfnisse erkenne und ihn SEIN lasse in seinen Empfindungen, auch wenn sie mit meiner Sicht der Dinge nicht konform laufen, kann ich ihn als den Menschen annehmen, wie er derzeit empfindet, denkt und fühlt
  • Wenn sich ein Mensch in seinen Empfindungen emphatisch verstanden fühlt, fühlt er sich gehalten und getragen

 

Christoph Schlingensief schrieb in seinem Tagebuch:

 

"Wenn man diese Betroffenenforen im Internet liest, wird einem ganz schlecht, da wird man sofort noch schlimmer krank. Und man merkt, was für eine Hilflosigkeit in diesem Gesundheitssystem steckt. Dass muss mal laut und deutlich gesagt werden, was da für eine Hilflosigkeit, eine Unfähigkeit herrscht. Weil die Menschen nicht nur alleingelassen werden mit ihren Ängsten, sondern auch statisch gemacht werden in ihrer Verzweiflung. Sie bekommen mitgeteilt, dass sie krank sind, und geraten dann an einen. Der sie völlig entmündigt. Nicht die Krankheit ist das Leiden, sondern der Kranke leidet, weil er nicht fähig ist zu reagieren, weil er nicht die Möglichkeit hat, mitzumachen. Er ist dem System ausgeliefert, weil niemand in diesem System bereit ist, ernsthaft mit ihm zu sprechen. Klar: Diagnose, Prognose, Therapie, es wird beinhart aufgeklärt, aber wirklich miteinander gesprochen wird nicht. Dabei könnte man allein dadurch helfen, dass man mit den Menschen spricht, zu Gedanken animiert oder nach Ängsten und Wünschen fragt. Denn dann wäre der Kranke wieder am Prozess beteilgt, dann wäre er aus der Statistik befreit, die einem die Krankheit aufzuzingen versucht."

 

Auf Christoph Schlingensief, bin ich im Jahr meiner Erkrankung bewusst als Krebspatient aufmerksam geworden und fühlte mich in vielen seiner Artikel erkannt und verstanden. Er schenkte mir mit seiner Offenheit in dunkelsten Stunden das Gefühl, dass ich mit meinen Empfindungen als schwerkranker Mensch, nicht die einzige bin, die so denkt und empfindet, wie ich es tat. Und das es absolut in Ordnung ist, dass ich dachte und empfand, wie ich es tat.


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