Mein Name ist Dilek und ich bin 32 Jahre alt. Ende 2016 begann alles mit leichten Schmerzen im Brustbereich, die ich nicht zuordnen konnte. Ich stellte mich dem Hausarzt vor und er ordnete die Schmerzen dem Magen zu. Ich war erleichtert, da ich mir schon Sorgen gemacht hatte, dass es etwas mit dem Herzen zu tun haben könnte. Es folgte eine Untersuchung meines Stuhlgangs, da ich mich Anfangs weigerte, einer Magenspiegelung zuzustimmen, denn davor hatte ich Angst. Rückblickend ärgere ich mich allerdings sehr über diese völlig unbegründete Angst, denn Magenspiegelungen sind nicht schlimm!
Bei mir wurde ein Helicobakter-Infektion diagnostiziert. Ein Bakterium, dass sehr viele Menschen in sich tragen und das meist ein Leben lang keinerlei Probleme macht. Laut Ärzten muss ich mir das Bakterium wohl irgendwann in der Kindheit eingefangen haben. Es folgte eine 7-tägige Antibiotikatherapie und danach war das Bakterium nicht mehr nachweisbar.
Da ich weiterhin Schmerzen hatte, bekam ich Tabletten verschrieben, die ich erst nach ca 6 Monaten langsam wieder absetzte. Im Juli 2017 wurden die Schmerzen aber wieder schlimmer und ich entschied mich, nun doch einen Termin zur Magenspiegelung auszumachen. Auf diesen müsste ich jedoch noch vier Wochen warten und flog daher wie geplant mit meiner Familie nach Portugal in den Urlaub. Diesen Urlaub werde ich nie vergessen, denn er war schrecklich. Normalerweise bin ich im Urlaub nur unterwegs und versuche so viel wie möglich von dem Land in dem ich mich befinde, zu sehen. Doch diesmal war es anders. Ich hatte keine Kraft, mir war übel, die Hitze machte mich fertig und ich hatte immer stärkere Schmerzen. Spätestens da wurde mir klar, dass ich wirklich krank bin, doch an Krebs habe ich nicht gedacht. Wieder zuhause vergingen zwei weitere Wochen in denen ich arbeiten war, da ich ja nicht benennen konnte, was ich hatte.
Dann war die erste Magenspiegelung dran und ich wurde 8-fach biopsiert. Man sagte mir, es sei ein „gutartiger Magenpolyp“. Die Therapie bestand aus Erhöhung der Tabletten für weitere vier Wochen, bis zur nächsten Magenspiegelung.
Ich fühlte mich immer schlechter. Bei der zweiten Spiegelung wurde ich 11-fach biopsiert und wenig später erhielt ich einen Anruf von der Ärztin. Sie sagte mir, dass sich die Zellen verändert hätten und es sich um ein frühes Krebsstadium handele, was man aber sehr gut bei einer erneuten Spiegelung entfernen könnte. Ich bekam einen Termin in einem Krankenhaus zum Staging und da ich auf diesen Termin eine weitere Woche warten musste, ging ich weiterhin zur Arbeit. Denn ich war beruhigt, vertraute völlig der Aussage der Ärztin. Es kam jedoch alles anders. Beim Staging im Krankenhaus kam heraus, dass es kein Krebs im Frühstadium war, sondern ein ausgewachsenes Magenkarzinom vom intestinalen Typ T4a. Ich fragte nach meinen Chancen...
“50 zu 50 mit Chemo und Operation, keine Chance ohne Therapie!“, lautete die Antwort.
Und somit war ich drin in der Maschinerie Krebs. Ich legte die Verantwortung über meinen Körper gezwungenermaßen in die Hände der Ärzte. Denn ich war vor lauter Angst nicht fähig irgendetwas zu hinterfragen oder selbst zu entscheiden. Es ging alles plötzlich sehr schnell und doch blieb für mich die Zeit stehen. Ich war in mir selbst gefangen. Ich fühlte Todesängste, hatte schreckliche Angst meinen Sohn (12 Jahre) verlassen zu müssen.
Schon am nächsten Tag wurde mir der Port eingepflanzt und weitere Untersuchungen standen an (CT, Bauchspiegelung, Magenspiegelung etc). Samstags wurde ich aus der Klinik entlassen und Montags hatte ich schon das Planungsgespräch für die erste Chemotherapie, die am Donnerstag in derselben Woche beginnen sollte. Es wurde kurz angesprochen, dass die Zeit um Eizellen einzufrieren, nicht da sei und mir wurde angeboten, eine Spritze zum Schutz meiner Eierstöcke zu nehmen. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte einfach keine weiteren Schmerzen und Eingriffe über mich ergehen lassen. Zudem war für mich das Denken an irgendeine ferne Zukunft, völlig ausgelöscht.
Und dann begann meine ganz persönliche Hölle auf Erden. Es gibt Menschen, die gehen sogar während einer Therapie mit Zytostatika arbeiten. Ich war nicht mal fähig von meinem Bett alleine ins Bad zu gehen. Ich konnte kein Fernsehen gucken und nicht lesen, da ich nicht richtig sehen konnte. Essen war eine Qual. Ich hatte starke Schmerzen und meine Psyche war im Keller. Nein, sie war sogar UNTER einem Keller im Keller...
Gegen Ende des 4. Zyklus sagte ich zu meinem Arzt, dass ich nicht mehr kann, dass ich sonst sterbe und davon bin ich bis heute absolut überzeugt. Ich wusste, wenn ich einfach loslassen würde, würde ich gehen können. Aber das konnte ich natürlich nicht tun, da ich niemanden traurig machen wollte. Das CT vor der Op zeigte, dass der Tumor fröhlich weitergewachsen war.
Am 29.12.2017, erfolgte die komplette Entfernung des Magens, der Milz, 48 Lymphknoten, einem Stück der Bauchspeicheldrüse und einem Stück der Speiseröhre. Ich war 9 Tage lang auf der Intensivstation und wurde künstlich ernährt. In meinem Körper befanden sich viele Schläuche (Drainagen, ZVK, Magensonde, Schmerzkatheter im Rücken, diverse Zugänge). Ich fühlte mich beinahe wie ein Weihnachtsbaum.
Nach der Intensivstation kam ich auf die normale Station und erlebte dort einige menschenunwürdige Dinge, die mich bis heute sehr traurig machen. Zum Beispiel brachte man mir am ersten Tag auf der normalen Station Nudeln mit Brokkoli, obwohl ich nur Flüssigkeiten oder Brei zu mir nehmen sollte. Niemand dort war auf jemanden ohne Magen eingestellt. Ich nahm also in kürzester Zeit stark ab. Toilettengänge waren schwer, da alle immer gestresst waren und ich mich nicht traute, zu klingeln. Ich wurde weder mobilisiert noch gewaschen, dass übernahm meine Familie.
Einmal musste ich auf allen vieren von der Toilette zu meinem Bett kriechen, weil mir schwindelig wurde und auf mein Klingeln niemand zeitnah kam - es war ein Dreibettzimmer und einer der Patienten hatte Besuch. Das war schlimm!
Mir wurde eine erneute Drainage gelegt, da sich Wundflüssigkeit gesammelt hatte . Diese Drainage lag zwischen den Rippen und drückte gegen einen Nerv, sodass ich vor Schmerzen kaum atmen konnte.
Ich hatte von Herzen gehofft, nicht noch eine Chemotherapie machen zu müssen. Doch man sagte mir, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass noch Krebszellen in meinem Körper verblieben sind. Da war sie dann wieder, die Angst, die Traurigkeit, die Verzweiflung! Vier Wochen später begann ich also wieder mit der Chemo. Bis dahin hatte ich schon 20 Kilo abgenommen, da es mit dem Essen gar nicht klappte. Bis heute habe ich nach jedem Essen schmerzen und das Dumping-Syndrom, dass mich erstmal für ca 30 Minuten „ausschaltet“. Mittlerweile klappt es viel besser mit dem Essen und ich kann mein Gewicht so einigermaßen halten. Die Chemo brach ich jedoch nach der dritten Gabe ab. Die Schmerzen waren trotz starker Schmerzmittel nicht mehr auszuhalten und ich war mit meinen Kräften am Ende.
Das nächste CT zeigte, dass ich eine Metastase am Eierstock hatte. Es folgte eine erneute Operation, in der der Eierstock inklusive Eileiter, entfernt wurde. Man sagte mir, dass es absolut ungewöhnlich sei, dass sich am Eierstock eine Metastase bei Magenkrebs ansiedelt. Dennoch stellte sich heraus, dass es sich um einen Ableger des Magenkarzinoms handelte.
Ich habe in meiner Erzählung nun sehr intensiv meine Ängste beschrieben. Damit möchte ich aber niemandem Angst machen, denn jeder Mensch verträgt die Chemo anders. Warum ich meine Ängste so betone, hat folgenden Grund: Ich möchte NICHT, dass andere Menschen dieselben Ängste haben, bzw wünschte ich, dass NIEMAND mit ihnen alleine gelassen wird. Deshalb habe ich auf Facebook (Krebs oder -Leben Zwei Punkt Null-) und Instagram (Leben2.0) einen Krebsblog eröffnet und versuche dort anderen Bettoffenen Mut zu machen, Halt zu geben und Informationen weiterzuleiten.
Ich teile dort auch meine Sorgen und Ängste, damit die Achterbahn mit der man notgedrungen fahren muss nach einer solchen Diagnose, transparent wird. Niemand soll sich für seine Ängste schämen oder sich dadurch schwach fühlen. Denn Gefühle sind menschlich und es ist in Ordnung Angst zu haben. Vor jeder Nachuntersuchung habe ich Angst. Bei jedem Hubbel den ich spüre schaltet sich das „Kopfkino“ ein; das Warten auf Auswertungen, wenn etwas nicht klar erkennbares gefunden wurde, ist hart.
Ich habe aber auch gemerkt, dass mir der Austausch mit anderen Betroffenen sehr hilft und in mir wuchs der Wunsch, mehr zu tun. Mittlerweile unterstütze ich das K-Wort und bin dem Verein Jung & Krebs beigetreten. Ich habe mich auch in der Netzwerkstatt Krebs engagiert und habe mit anderen Betroffenen einen Adventskalender mit dem Hashtag #trotzdemschön erstellt. Auf diesem sind Fotos von uns Frauen zu sehen, die zeigen, dass man auch mit Narben und Amputationen schön ist. Die Resonanz war sehr groß und viele Frauen haben uns geschrieben, dass sie dadurch Mut schöpfen konnten. Und dann wusste ich was ich tun wollte, ich wollte eine Selbsthilfegruppe leiten. Und ich kann mit stolz sagen, dass ich es geschafft habe, denn der von Carsten Witte gegründete Verein Jung & Krebs aus Freiburg hat es mir ermöglicht, an meinem Wohnort einen zweiten Standort zu eröffnen. Jung & Krebs Team Rheinfelden. Darüber bin ich sehr glücklich, denn im persönlichen Austausch kann man sich gegenseitig noch mehr unterstützen, noch mehr Halt geben, noch mehr Mut machen. Wir können gemeinsam lachen, weinen, Ausflüge machen oder einfach mal zusammen kochen. Uns verbindet nicht nur die Krebsdiagnose. Uns verbindet das Menschsein, das Leben nach und mit Krebs!
Mein Leitspruch lautet: Niemand ist allein. Und warum sollte man nicht aus jedem Tag, den Besten seines Lebens machen?
In diesem Sinne, ganz liebe Grüße an Euch
Dilek
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Sassy (Freitag, 10 Mai 2019 21:42)
Der Text, Deine Geschichte.. Ich ziehe wirklich den Hut vor Dir, wage es Dir aufzugeben...!!! Nicht du! Ich finde es großartig das Du deine Geschichte teilst, Mut machst und so offen bist. Behalte Dir das bei! Du bist eine tolle Frau, mama und Partnerin!
Christiane (Samstag, 11 Mai 2019 14:41)
Sehr beeindruckend deine Geschichte, liebe Dilek. Ich bin eine stille Mitleserin deiner Seite auf Facebook u finde es grandios, wie du anderen Mut machst mit deiner Ehrlichkeit. Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe u Gute und natürlich viiiiiel Gesundheit, Zufriedenheit u Glück. Du bist eine bemerkenswerte und wunderschöne Frau :)