Als Nicole mich fragte, ob ich Lust hätte einen Gastbeitrag zu schreiben, habe ich mich sehr gefreut, weil ich die Lebensgeschichten der tollen Frauen auf ihrem Blog so mutmachend und bereichernd finde. Und dann dachte ich: "Aber habe ich etwas mit Mehrwert für die potenziellen LeserInnen zu sagen?". Ich weiß es nicht, aber ich schreibe trotzdem etwas und vielleicht, vielleicht treffe ich ja das richtige Thema...
Ich heiße Merle, lebe mit dem besten Ehemann der Welt und einer wundervollen Tochter in einer ländlichen Gegend und erhielt die Diagnose Brustkrebs im August 2017. Einen Monat vorher hatte ich meinen 40sten Geburtstag gefeiert. Meine Tochter war damals 4.
Wie wohl allen Betroffenen zog es mir den Boden unter den Füßen weg, mein erster Gedanke war: "Ich will mein Kind nicht alleine lassen und ich will nicht, dass sie das miterleben muss!"
Erklärtes Ziel war also, meiner Tochter so viel Normalität wie möglich zu erhalten. Das scheiterte krachend, als mich die Therapien ziemlich beutelten und mein Mann viele meiner Aufgaben übernehmen musste. Aber zumindest meine Sorgen und Ängste wollte ich nicht oder so wenig wie möglich zeigen. Aber wohin damit? Meinen Mann noch zusätzlich diese Last aufbürden, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit jedes Zipperlein, jede Angst, jeden Schmerz anzuhören? Das wollte ich auch nicht.
Ich wollte mich mit Betroffen austauschen. Eine Selbsthilfegruppe kam für mich nicht in Frage: zu lange Wege, an feste Zeiten gebunden und die Ungewissheit, auf welche Menschen ich treffen würde: Energiefresser oder Mutmacher? Sind da überhaupt Frauen in meinem Alter?
Ich meldete mich bei Instagram an und schnell, sehr schnell merkte ich, wie viele Frauen in meinem Alter betroffen sind. Es ist fast eine Parallelwelt, von der ich keine Ahnung hatte, dass sie existiert und ich war vom ersten Moment an von der Solidarität, Empathie und Hilfsbereitschaft beeindruckt. Ich schrieb mir meine Sorgen und Ängste von der Seele, stellte Fragen, teilte Freude und auch meinen vielleicht etwas speziellen Humor. Eine Frau schickte mir beispielsweise als ich glatzköpfig wurde, eine Mütze, zusammen mit einer Karte mit aufmunternden Worten, die noch heute an meiner Postkartenwand hängt. Eine andere schickte mir zur Weihnachtszeit (als ich meinen Frust darüber teilte, dass ich nicht wie geplant mit meiner Tochter backen konnte) eine Dose mit den schönsten Plätzchen, die je in meinen Bauch gewandert sind. Einfach so! Hier wurde ein selbstloses Miteinander auf so rührende Weise gelebt, dass ich wirklich oft zu Tränen gerührt war.
Und mitten in der schwärzesten Phase lernte ich neben vielen anderen starken Frauen sogar noch diese eine kennen, mit der mich eine Art Seelenverwandtschaft verbindet. Zu jeder Tages- und Nachtzeit tauschten wir uns aus. Über wirklich alles, über Themen, die ich sonst mit niemandem hätte teilen wollen oder können. Mit der Zeit wurde ein Kleeblatt daraus, wir begleiteten uns durch die Therapien, Operationen, in die Reha und das Leben danach. Bis heute sind wir uns tief verbunden.
Ich hätte meine Therapie ohne diese Verbundenheit mit anderen Betroffenen nicht so überstanden, wie ich es habe. Das gegenseitige Verständnis ist unbezahlbar, oft braucht es gar keine Worte. Auch nach der Therapie, wenn man wieder "gesund" ist, bleibt diese Verbundenheit. Die Ängste sind ja nicht plötzlich weg! Aber wer aus dem familiären Umfeld oder dem ("unkrebsigen") Freundeskreis erträgt es, ständig davon zu hören? Alle wollen damit - verständlicher Weise - abschließen, und das sollen sie auch können. Wir Betroffenen wollen das auch, aber wir können es nicht so einfach. Wir haben uns verändert - physisch wie psychisch. Meiner Meinung nach kann das niemand, der nicht selbst Betroffen war oder ist nachvollziehen, das ist keine Kritik oder ein Vorwurf, es geht einfach nicht, weil die persönliche Erfahrung (Gott sei Dank!) fehlt.
Ich habe also zwei Arten von Freundschaften: "Normale" Freundschaften und "Krebsfreundschaften". Beide sind gleichermaßen wichtig. Beide haben Bestand. Beide bleiben Teil meines Lebens, wie auch der Krebs, auch wenn er weg ist (und hoffentlich bleibt!).
Ich fühle mich dadurch unfassbar bereichert und bin ebenso dankbar, dass ich in dieser schwarzen Phase meines Lebens diese unbezahlbaren Freundschaften schließen konnte.
Mein Rat an alle Betroffenen/ Menschen in einer schweren Lebensphase: vernetzt euch! Denn es stimmt tatsächlich WIR SIND VIELE und gemeinsam ist man stärker. Und ich hoffe, dass ich in der ganzen Zeit vielleicht auch der ein oder anderen Frau so helfen oder beistehen konnte, wie mir geholfen und beigestanden wurde und immer noch wird.
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