Wenn wichtige Anlaufstellen geschlossen werden

Mich hat heute ein Zeitungsartikel der besonderen Art erreicht.
Spezialstation für Behinderte hat zu - Krankenhaus Rummelsberg schließt wegen Corona vorübergehend ein in Nordbayern einmaliges Angebot, für ein riesiges Einzugsgebiet für Menschen mit Behinderungen.
In diesem Krankenhaus gibt es die Station 13, mit neun neurologischen Betten, die sich auf die Behandlung geistig behinderter Menschen spezialisiert hat. Das Problem ist nur: Diese Betten der Station sind derzeit geschlossen, weil das Krankenhaus Rummelsberg wie alle anderen bayerischen Kliniken, 25% der normalen Betten - und zusätzlich 30% der intensivmedizinischen Kapazitäten, für Covid 19 Patienten freihalten muss. Dafür gibt es einen finanziellen Ausgleich von 560,-€ pro Tag und Bett.
Diese Klinik muss von all ihren Betten, 60 für Covid 19 Patienten freihalten. Vergangene Woche musste kein einziger Covid 19 Patient behandelt werden. Die Statements des Klinksprechers wirken alles andere als schlüssig, warum ausgerechnet eine hochspezialisierte Station für Menschen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf, VOLLSTÄNDIG geschlossen wurde.
Die Schließung der Station trifft derzeit besonders hart Familien, deren Kinder unter Epilepsie leiden und regelmäßig medikamentös auf Station 13 neu eingestellt werden müssen und die auf eine entsprechende medizinische Betreuung angewiesen sind, die sich von der üblichen Betreuung eines Krankenhauspatienten, massgeblich unterscheidet.
Eigentlich sollte Lisa, 26 Jahre jung und geistig behindert, in den Pfingstferien im Krankenhaus Rummelsberg, diagnostiziert werden. Das ist derzeit und bis auf weiteres bis Ende Juli NICHT möglich.
Jetzt stellt euch vor: Ihr habt Brustkrebs, wartet auf euren Termin der Tumorentfernung und erfahrt: Ja, tut uns leid. Wir schließen die Station und das Brustzentrum gleich noch mit dazu und weit und breit gibt es KEINE Alternativklinik?
Und genau so verhält es sich auch hier. Auch Justins SPZ und MZEB wurden auf Grund von Corona bis auf weiteres geschlossen. Wichtige Therapien, Diagnostiken und Verlaufskontrollen fallen aus. Anlaufstellen sind nicht zu erreichen. Die Menschen und ihre Familien, sind auf sich alleine gestellt. Leider ist es so, dass viele der betroffenen Menschen über solch hochkomplexe Behinderungen und Erkrankungen verfügen, dass der normale Kinder- oder Hausarzt, diese einfach nicht optimal versorgen kann. Er ist in der Diagnostik und Mitbehandlung seiner Patienten, auf solch spezialisierte Zentren angewiesen. In den Medien heißt es immer wieder: Wichtige Untersuchungen und Behandlungen fallen nicht aus. Aber sie fallen aus. Und das reihenweise. Nicht nur im Krankenhaus Rummelsberg, sondern auch in Frankfurt und anderswo.
Die UN-Menschenrechtskonvention spricht Menschen mit Behinderung das Recht zu, medizinische Versorgung in gleichem Umfang und gleicher Qualität wie alle anderen zu erhalten. Dies soll Menschen mit Behinderung unterstützen, möglichst gesund zu bleiben, denn Gesundheit ist eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Aber dieses Recht, wird Menschen mit Behinderungen, derzeit abgesprochen. Ein Recht, um das so lange hart gerungen wurde.
Ein Einblick, wenn ich mit Justin in die Klinik muss:
Alles was ungewöhnlich und seine Alltagsroutine durchbricht, stellt meinen Sohn vor enorme Herausforderungen. Dazu gehören fremde Umgebungen, ungewöhnliche Reaktionen von anderen Menschen, laute und plötzliche Geräusche, Lichtreflektionen und Situationen, die ihm schwerfallen einzuschätzen, wie zum Beispiel freilaufende und bellende Hunde. Mein Sohn hat vor vermeintlich harmlosen Gegebenheiten Angst und kann auf der anderen Seite Gefahrensituationen, nicht adäquat einschätzen.
Justin braucht viel Zeit, um sich auf neue Situationen einzustellen. Dies wirkt sich besonders auch auf Arzt- und Kliniktermine aus. Wenn mein Sohn beispielsweise eine Zahnarztbehandlung oder ein MRT benötigt, ist dies zur Sicherheit aller, nur durch die Unterstützung einer Narkose möglich. Oft wurde es mir von Ärzten möglich gemacht und auch von ihnen gewünscht, mein Kind in die Anästhesie zu begleiten, um ihm ein kleines Stück Sicherheit zu schenken – und um ihnen zu ermöglichen, ihrer Aufgabe meinem Kind gegenüber gerecht zu werden. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn Justin in meinem Beisein sein Bewusstsein verliert und ich ohne einen Blick zurück, den Raum umgehend verlassen muss…
Mein Sohn weiß was es bedeutet, über Wochen und Monate in Kliniken zu verbringen und Situationen ausgeliefert zu sein, denen er sich nicht entziehen kann. Seine zwei Meter Narben an beiden Beinen, stören ihn dabei nicht. Aber die vielfältigen Erfahrungen in Kliniken und anderswo, haben ihn geprägt. Bis heute erhält mein Sohn alle vier Monate eine Botulinumtoxintherapie unter Tavor und Sedierung in einem Sozialpädriatischem Zentrum, um seine Schmerzen durch die Spastik zu lindern und sein Gangbild stabil zu halten. Sobald er merkt, welchen Weg auf der Autobahn ich einschlage, schlägt bei ihm die Angst- bis hin zu Panikattacken durch. Meinem Sohn im Vorfeld von unserem Termin zu erzählen,, wäre absolut kontraproduktiv, weil er ab diesem Moment größte Ängste durchstehen würde. Das ist noch schlimmer, als ihn so lange als möglich im Ungewissen zu lassen. An solchen Tagen erzähle ich meinem Sohn nicht, dass er keine Angst zu haben braucht. Denn er steht in diesen Stunden eine Angst aus, die sich weder mit Atemübungen, noch mit Rationalität verarbeiten lässt. Als seine Mom versuche ich ihm in diesen Stunden, einen emotionalen Rückhalt zu bieten. Auf Ärzte und Schwestern wirke ich dabei unerschütterlich ruhig, wenn ich ihn halte und ihm Mut mache. Tief in mir selbst, sieht es dabei manches Mal anders aus.
Wenn mein Sohn einen Klinikaufenhalt zu absolvieren hat, ist auf jedem Arztbrief vermerkt, dass die Begleitung der Mutter erbeten ist. Vorab rufe ich auf der betreffenden Station an und erzähle von meinem Sohn und organisiere manches um uns beiden den Aufenthalt zu erleichtern, wie beispielsweise ein Einzelzimmer. Die Pflege meines Sohnes, ihn von Untersuchung zu Untersuchung zu bringen, seinen Alltag während des Klinikaufenthalts zu strukturiern und ihn zu beschäftigen, obliegt meiner Aufgabe. Schwestern und Pflegern ist es schlichtweg nicht möglich, eine solche Betreuung zu stemmen. Noch dazu ist mein Sohn ein Mensch, der sich sprachlich nicht gut verständigen kann. Der beispielsweise keinen Klingelknopf betätigen würde, um die notwendige Unterstützung bei Toilettengängen zu erbeten und vieles mehr. Wenn er dem allen alleine ausgesetzt wäre, wäre es für ihn, als wenn er von einem Moment auf den anderen ohne Sprach- und Ortskenntnisse, in einem fremden Land ausgesetzt worden wäre.
Und aus genau diesen Gründen ist es so wichtig, dass Station 13 nicht länger geschlossen bleiben DARF. Es hat seinen Grund, dass es GENAU solch eine Station wie die 13 gibt, um Menschen wie Justin mit Respekt und Würde versorgen und betreuen zu können.

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