Wir sitzen alle im gleichen Boot. Tun wir das wirklich?

Bild von pixabay
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Als ich vor 10 Jahren die Diagnose Brustkrebs erhielt und damit begann, in Brustkrebsforen nach Erfahrungsberichten zu suchen, fühlte ich mich einem tosenden Meer ausgesetzt, dass mich zu verschlingen drohte. Zu beängstigend waren alle Bedenken und Sorgen um die Erkrankung. Zu tief erschien der bodenlose Abgrund und zu hoch die Hürden, vor denen ich stand. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass ich keine nachweisbaren Metastasen hatte, aber dennoch nagte die Verunsicherung in mir, an der Erkrankung Brustkrebs zu sterben.

 

Denn sie starben doch um mich herum, die Frauen, die ich persönlich kannte und die mir anfangs über die Foren und später über die sozialen Netzwerke vertraut wurden. Etwa 3% der Frauen, erhalten bei Erstdiagnose den Befund Metastasen. 5% bis 20% erhalten nach der ursprünglichen Diagnose Brustkrebs noch nach Jahren den Befund, dass ihre Erkrankung fortschreitend und somit als nicht mehr heilbar gilt. Ich konnte für mich nicht sagen, mich wird es schon nicht treffen, wenn ich auch bis heute hoffe, von diesem Schicksal verschont zu bleiben.

 

Bis heute haut es mir jedes Mal die Luft aus den Lungen, wenn eine Freundin mir erzählt, dass sie metastasiert ist. Weil mich ihr Schicksal berührt. Anfangs lösten solche Nachrichten zusätzlich Panik in mir aus. Weil die Angst vor der Diagnose Metastasen dabei so nahbar wurde und die Befürchtung weckte, schon bald die nächste zu sein. Heute werde ich bei einer solchen Mitteilung voller Demut still und versuche der Freundin den Raum zu geben, den sie braucht. Ich versuche dabei, mich mit Mut schenkenden Sprüchen oder Durchhalteparolen zurückzuhalten, weil sie der Situation der Freundin nicht gerecht werden. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich mir wünschen, meinen Kummer von der Seele reden zu dürfen. Eine Freundin soll wissen, dass ihr Kummer bei mir gut aufgehoben ist, aber auch, dass wir das Leben in wertvollen Begegnungen zusammen feiern.

 

Ich weiß von manchen Frauen, wenn sie anderen von ihrem Befund erzählen, dass sie von ihrem Gegenüber nur noch als Todgeweihte betrachtet werden. So grausam können wir Menschen untereinander sein...

 

Zu Beginn auf meinem Weg mit der Erkrankung und der großen Unsicherheit und Angst um mein Leben, war ich der festen Überzeugung, wenn ich Metafrauen zuhörte: "Was habt ihr denn? Ich hab genauso große Angst wie ihr und ich sitze mit euch zusammen in einem Boot. Ich bin nicht besser dran als ihr. Ich bin eine von euch. Ich hab doch ganz ähnliche Befürchtungen wie ihr!"

 

Das tatsächliche Begreifen um die Situation, setzte zwei oder drei Jahre nach meiner Diagnose ein. Wir mögen vielleicht alle miteinander in einem Boot sitzen. Aber wir sitzen an unterschiedlichen Plätzen. Manche von uns, werden nach stürmischen Zeiten voller Hoffnung auf lichtdurchfluteten Plätzen nach vorne blicken. Andere müssen aufpassen, die Planken unter sich nicht zu verlieren und setzen ihre immer wieder geflickten Segel voller Durchhaltevermögen neu aus. Und manch eine von uns, verlieren wir, weil ihnen kein zugeworfener Rettungsring mehr helfen kann. Wir, die zurückbleiben, trauern. Weil manch eine von uns weiß, dass sie zu den nächsten gehören wird oder weil wir eine liebgewonnene Freundin verloren haben. Aber viele von uns schauen aus lauter Angst weg, weil ihnen der Verlust der anderen Angst macht.

 

Das ist auch mit ein Grund, dass sich Frauen mit der Diagnose Metastasen aus vielen Foren und Gruppen in den sozialen Netzwerken zurückziehen. Weil sie merken, dass sie anderen Angst machen und sie mit ihren Belangen verunsichern. Sie ziehen sich dann lieber in eigene Gruppen zurück, in denen sie geschützt unter sich sind. Als ich das zum ersten Mal hörte, machte mich dies unfassbar traurig, weil es so nicht sein sollte.

 

2014 hatte ich das Projekt Little Message in pink iniziiert. Eigentlich trieb ich dieses Fotoprojekt nur für eine junge Frau an, die im Februar 2014 die Diagnose Metastasen erhielt. Es gibt Bilder von diesem Projekt, da sind Doris und ich die einzigen Frauen, die noch leben. Mamma Mia. Das Online-Portal, stellte uns in einem seiner Magazine vor. Alle anderen hatten das Projekt weder in Magazinen noch in ihren Räumen vorstellen wollen, weil zu viele der teilnehmenden Frauen Metastasen hatten. Es hieß, dass könne man anderen Frauen, die unter Umständen gerade die Diagnose Brustkrebs erhielten oder befürchten müssen, nicht antun. Ich war sprachlos...

 

All dies ist für mich ein Beweggrund in den vergangenene Jahren gewesen, auf die Situation von Frauen mit einem metastasierten Brustkrebs aufmerksam zu machen. Von daher finden sich auch viele ihrer Lebensgeschichten  auf meinem Blog. Als Patientenvertreterin habe ich zudem die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auf die Belange der Frauen mit Metastasierung aufmerksam zu machen und neue Projekte zu unterstützen und dabei Befürchtungen aus dem Weg zu räumen, solche Projekte überhaupt umzusetzen. Zu sensibel sei die Problematik. In der Öffentlichkeit bräuchte es mutmachende Geschichten von Frauen, die als "geheilt" gelten. Das ist mit ein Grund, dass es nur selten entsprechende Geschichten in die Medien schaffen. Ich hingegen erachte es als enorm wichtig, dass Frauen mit einem metastasierten Brustkrebs eine breite Öffentlichkeit finden. Ihre Belange, Sorgen und Nöte müssen gehört werden. Wo liegen ihre Wünsche und Hoffnungen? Was können wir von ihnen lernen und was muss geändert werden, damit sie sichtbar werden?

 

Aber es tut sich etwas und das ist so wertvoll für alle Beteiligten. Denn das was heute an Basis neu geschaffen wird, hilft all denen, die sich heute und zukünftig, mit einer fortschreitenden Erkrankung auseinander setzen müssen. Heute die Diagnose Metastasen zu erhalten bedeutet nicht, dass das Leben schon morgen beendet sein muss. Die Medizin hat mittlerweile so große Fortschritte gemacht, dass viele Frauen bei guter Lebensqualität, wertvolle Lebensjahre hinzugewinnen können. Dazu braucht es Forschung und entsprechende Weiterentwicklungen. Aber auch ein Tabu brechen in der Öffentlichkeit, die sich lieber mit als "geheilt" geltenden Frauen schmückt, als auch die Frauen wertzuschätzen und zu unterstützen, die nicht weniger Heldinnen sind. Und das sind sie. Heldinnen...

 

Was braucht es! Es braucht Aufklärung. Es braucht Mut und Unterstützung. Sichtbarkeit und Wertschätzung. Respekt und Würde.

 

Auf meinem Eckchen Boot, dessen Platz ich mal hier und mal dort in den vergangenen 10 Jahren gewechselt habe, sowohl an sonnigen und an Tagen, an denen die Gischt hart und kalt meinen Körper umtoste, war ich mir immer bewusst, dass ich morgen den Platz einer palliativen Patientin einnehmen könnte. Wenn es eines Tages so sein sollte, würde ich mir wünschen, dass ich dann von einem Netz aufgefangen und nicht fallengelassen werde.

 

Was bedeutet eigentlich Palliativmedizin?
Pallium = der Mantel
Wie mit einem Mantel kann die PatientIn durch eine palliative Betreuung umhüllt und geschützt werden. Geschützt vor Symptomen, die mit der schweren Krankheit zusammenhängen, wobei das zentrale Symptom der Schmerz ist. Hiermit ist nicht nur der körperliche Schmerz gemeint, sondern auch ein Schmerz, der aus der seelischen Verfassung entstehen kann.
Die Definition der Europäischen Vereinigung für Palliativmedizin (EAPC) lautet: "Palliativmedizin ist die angemessene medizinische Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenen und progredienten Erkrankungen, bei denen die Behandlung auf die Lebensqualität zentriert ist und die eine begrenzte Lebenserwartung haben."

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Kommentare: 1
  • #1

    Andrea (Montag, 08 Juni 2020 10:11)

    Danke dir sehr für diese wahren und Augen öffnenden Worte!

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