Dankbarkeit

Jenny Klestil Photography
Jenny Klestil Photography

Ich bin ein Mensch, der die kleinen Dinge im Leben zu schätzen versteht. Selbst wenn etwas in meinem Leben schiefläuft: spätestens nach einigen Stunden oder Tagen des Zauderns und Fluchens – erfüllt mich Dankbarkeit dafür, dass wir trotz allem Glück im Unglück hatten, weil es ja viel schlimmer hätte kommen können oder sich zwischenzeitlich zufriedenstellende Lösungen fanden. Meist bin ich so gut im Krisenmanagement geerdet, dass mich schwierige Situationen oder Nachrichten, nicht mehr so schnell straucheln lassen. Oft schaffe ich es, einen Schritt zurückzutreten und einen neuen Blick auf die bestehende Herausforderung zu gewinnen. Dabei finde ich meist intuitiv einen ersten Lösungsansatz. Dieses schnelle zurückgewinnen meiner Handlungsfähigkeit liegt vielleicht mit darin begründet, dass ich für meinen Sohn und mich in der Vergangenheit schwierigste Lebenssituationen aufdröseln musste. Ich versuche nicht in dem Problem zu verharren, sondern suche nach einem Ausweg. Diese Fähigkeit (unter ihr versteht man Resilienz) verhilft mir selbst in größten Notsituationen, einem inneren Ohnmachtsgefühl zu entkommen. Mich selbst betrachte ich dabei eher als eine kreative Lösungsfinderin. Manchmal mit Unterstützung von Menschen, die ohne viele Worte verstehen.

 

Nicht selten heißt es, ich sei eine Power-Frau oder -Mama. Dabei habe ich nicht das geringste Interesse, als solch eine Frau wahrgenommen zu werden. Für mich fühlt sich diese Aussage ähnlich an wie: „Du bist so stark! Du schaffst alles! Ich könnte das nicht…“. Denn der Umkehrschluss lautet: Wenn ein Mensch seinen Alltag unter schwierigsten Bedingungen so gut meistert, dann kann man ihn sich selbst überlassen, weil er sich ja ganz wunderbar zu helfen versteht. Aber dies ist ein Trugschluss. Denn auch starke, geerdete Menschen benötigen hin und wieder Unterstützung oder ein offenes Ohr. Wenn solch ein Mensch um Unterstützung bittet, dann sollte man sie ihm Gewähren, sofern diese ermöglicht werden kann. Denn gerade diese Menschen haben es sich meist sehr gut im Vorfeld überlegt, ehe sie jemanden um Hilfe bitten und springen dabei oft über einen immensen Schatten.

 

Das Leben meines Kindes ist von Geburt an schwer geprägt. Meines ist schwer geprägt, durch eine alles andere als leichte Kindheit, schwerwiegende Erkrankungen und durch die Behinderung meines Sohnes, den ich ohne die Unterstützung von Seiten des Vaters aufzog. Ein Vater, der nie verstehen wird, wie viel Lebensglück er an seinem Sohn verlor.

In unseren beiden Leben gab es unzählige Momente, die nur schwer auszuhalten waren. Ohnmacht, enge Grenzen und Hilflosigkeit auszuhalten, sind die vielleicht schlimmsten unter ihnen gewesen. Für uns beide, aber auch für die, die an unserer Seite standen. Und dennoch kitzeln sie einen unendlichen Mut hervor, nicht klein beizugeben und Berge versetzen zu wollen. Für Justin, meinen Sohn, dem so unfassbar viele Türen im Leben verschlossen sind. Und so renne ich immer wieder gegen haushohe Mauern an, erkläre und fordere ein, suche nach einem Durchschlupf und scheitere doch häufig an Gegebenheiten und Schubladenmentalitäten.

 

„Dein Kind wird einen Baum von keinem Haus unterscheiden können. Er wird nie laufen oder Gefühle ausdrücken können. Du hast genug getan: Gib dein Kind in ein Heim. Er wird eh nicht alt. Ich liebe euch doch.“.

In der Liebe, in wohlmeinenden Ratschlägen und Prognosen, steckt nicht selten der größte Verrat...

 

Ich bin erfüllt von Dankbarkeit, dass wir trotz allem so gut im Leben stehen. Auch wenn es von außen für manch einen als nicht privilegiert erscheinen mag. Wir sind weder reich noch richtig „gesund“. Unser Leben verläuft abseits der Schnellstraßen unserer Gesellschaft und wirkt zudem sehr eingeschränkt in seinen Entfaltungsmöglichkeiten. Das kann ich unumwunden zugeben. Und doch sind wir in vielen Dingen reicher als so manch andere, die uns ausgrenzen oder von oben auf uns herabsehen. Und ja, ich fühle mich oft eingeschränkt im Rahmen MEINER, unserer Entfaltungsmöglichkeiten und ich bin mir nur zu sehr bewusst, dass, sollte ich meine Rente erleben, diese von Armut geprägt sein wird und wenn ich noch so viele Hürden überwunden habe.

 

Es ist eine Kunst für sich, das Leben im Schweren leicht zu leben!“ Das gebe ich vielen zur Antwort, wenn sie mich fragen, wie ich es nur immer wieder schaffe, unser Leben so gut zu meistern. Ganz ehrlich? Manchmal verfluche ich mich dafür, mich immer so verdammt dankbar für scheinbar selbstverständliches im Leben zu fühlen. Aber die tief empfundene Dankbarkeit für so viele kleine und große Lebensaugenblicke, ist ein Teil meiner Selbst. Vielleicht nicht der Schlechteste...


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