Glück

Jenny Klestil Photography
Jenny Klestil Photography

Wir alle streben nach dem vermeintlich großen Glück. Dabei verstehen die meisten Menschen nicht, dass das Glück kein großes und ewig währendes Gebilde ist, sondern sich aus vielen fragilen Mosaiksteinchen zusammensetzt. Glück zu spüren, ist ein kostbares Kleinod und kommt nicht selten mit weiteren Emotionen einher. Dies kann mit einer Prise Liebe verbunden sein, Wehmut, Trauer, übersprudelnde Lebendigkeit, es kann mal laut und mal leise auftreten, einen ganz sachte wie der Flügelschlag eines Schmetterlings berühren oder einen Menschen bis in seine Grundfesten erschüttern. Glück scheint nicht immer fair verteilt zu sein. Manch einem fällt das große Glück ein ums andere Mal vor die Füße, andere müssen um jedes Zipfelchen Glück ringen und dabei rinnt es ihnen doch immer wieder als Sand zwischen den Finger hindurch und will sich einfach nicht festhalten lassen. Glück ist manches mal nicht mehr wie ein flüchtiger Traum nach dem wir mit aller Leidenschaft haschen wie kleine Kinder und es dennoch nicht erreichen. Nicht selten entpuppt sich pur erlebtes Glück, als der Startschuss in den größten Fehler unseres Lebens. Zählt das zuvor empfundene Glück dann weniger? Denn dieses Glück bewirkte einst ja auch etwas Gutes, ehe es sich an unserem Alltag verschliss und unsere großen Lebensträume und Hoffnungen mit sich hinfort riss.

 

Mein großes Lebensglück

 

Justin zum ersten Mal bewusst nach seiner Geburt in meinen Armen zu halten, war sicherlich einer der größten Glücksmomente in meinem Leben. Sein zerknautschtes und missmutig verzogenes Gesichtchen zu bestaunen, seine damals schon großen Füße und perfekten Finger abzuzählen und ihre Schönheit zu bewundern, ist ein alles entscheidender Moment des puren Glücks gewesen, den ich schmerzhaft in jeder Zelle meines Seins spürte. Meinen Sohn nach vielen Therapiejahren zum ersten Mal „Mama“ sagen zu hören oder seine ersten Schritte zu erleben entgegen aller Prognosen, zerschlug mich vor Freude und löste gleichzeitig eine immense Trauer aus. Denn jeder mühsam erworbene Fortschritt meines Sohnes, war ein alles andere als alltäglicher Glücksmoment und wenn er über einen noch so langen Zeitraum sehnlichst herbeigesehnt wurde. Weder sein strahlendes Kommunizieren, noch einer seiner gelaufenen Schritte, ist selbstverständlich. So geht Glück für mich oft mit großer Demut einher.

 

Wenig in unserem Leben ist selbstverständlich. Dessen bin ich mir bewusst. Zum Glück kann ich mich an den kleinen Momenten des Lebens erfreuen, die von manchen als Glückstrigger unterschätzt werden. Es gibt Menschen, die scheinbar alles haben. Sie verfügen über eine gesicherte Existenz, über begehrenswerte Annehmlichkeiten, sie sind gesund, leben vielleicht in einer erfüllenden Beziehung und vieles mehr, auf das manch anderer mit Neid und Missgunst schauen mag. Aber das vermeintliche Glücksgefühl oder zumindest die Zufriedenheit über ihren privilegierten Status, ist ihnen unterwegs abhandengekommen. Das Leben wird gelebt, wie man es eben lebt und meist erst rückblickend geschätzt, wenn eine der existenziellen Säulen gestürzt wurde.

 

Stellt man jemandem die Frage nach dem Glück, wird die Antwort sehr unterschiedlich ausfallen. Die Erfahrung des Glücks oder das Empfinden darüber, verändert sich zudem im Laufe des Lebens. Was uns als Kind oder junger Mensch glücklich machte, wird in späteren Jahren vielleicht nur noch ein Achselzucken auslösen. Manchmal wächst das Glück jedoch mit unserem veränderten Blick auf das Leben. Mein an keine Erwartungen geknüpftes Glück ist sicherlich die Liebe zu meinem Kind. Ein glücklicher Moment kann aber auch sein zu wissen, dass ich jemand anderes eine Freude oder einen Konfetti-Moment schenken konnte. Heißes Glück zu spüren kann für mich bedeuten, dass ärztliche Untersuchungen positiv ausgefallen sind, gepaart mit großer Erleichterung. Ein ruhiges Glück hingegen durchströmt mich, wenn im Frühling erste Sonnenstrahlen mein Gesicht streicheln oder ich den aromatischen Duft frischer Vanille einatme und ein zufriedenes Glück, wenn ich die Umarmung eines Herzmenschen spüre. Glücklich unter uns sind die, die sich an erlebtes Glück erinnern und das Leben in seiner Vielfältigkeit wertschätzen können. Klingt nach einem Kalenderspruch. Ist aber wahr…

 

Ich bin nicht immer glücklich. Wie auch. Vielleicht denkt sich auch manch einer, wenn er Justin oder mir begegnet: „Mensch. Die Armen!“ Ohne zu sehen, was uns ausmacht. Das wir glücklich sind, ohne dass wir das vermeintlich große Glück im Leben zugesprochen bekommen haben. Wie ich mich fühle oder Glück definiere und mit welchem Blick ich auf unsere beiden Leben blicke, das ist meine freie Entscheidung. Meine Haltung zum Leben bestimmt unser Sein, unsere Gegenwart und unsere Zukunft.


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