Warum Einsamkeit nicht gleich Einsamkeit ist

Der Grund dafür, warum ich mich vor etwas über einem Jahr selbstständig gemacht habe war, dass ich das Gefühl hatte niemandem gerecht werden zu können. Ich hatte das Gefühl, den Kindern nicht gerecht werden zu können. Den Eltern nicht gerecht werden zu können. Und mir selbst nicht gerecht werden zu können. Wenn man mit Familien mit Kind mit Behinderung arbeitet, „lernt“ man ziemlich schnell, dass egal welche Diagnose, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, usw. alle eins gemeinsam haben: Das Gefühl alleingelassen worden zu sein. Sie fühlen sich bei der Vermittlung der Diagnose, aber vor allem auch der Zeit danach alleingelassen. Es fehlt nicht nur an Unterstützung was das organisatorische angeht, wie z. B. was muss beantragt werden, welche Therapien sind notwendig, welche Arzttermine müssen vereinbart werden, usw., sondern es fehlt vor allem auch an Menschen, die die Überforderung, Angst und Sorgen „einfach“ hören, ernstnehmen und Perspektiven zeigen können. Viele Eltern fühlen sich nicht verstanden und verloren, obwohl sie mehrmals in der Woche von Physyiotherapeuten*innen, Sprachtherapeuten*innen und regelmäßig von Ärzten*innen, Pädagogen*innen, uvm. umgeben sind. Ich habe mir dieses Gefühl immer so vorgestellt wie, wenn man nach einem Konzert (auch wenn dieses natürlich dem Vergnügen dient und an sich nicht mit einer Therapie vergleichen lässt), alleine nach Hause kommt. Und auf einmal spürt man die Stille und fühlt sich einsam. Und nein, ich glaube nicht, dass dieses Gefühl dadurch aufgelöst werden kann, dass Familien eine fachliche, (sonder-) pädagogische Begleitung erhalten. Ich glaube aber, dass dieses Gefühl von „allein sein“ bzw. Einsamkeit in den Hintergrund rücken kann. Ich glaube, dass Eltern durch eine Vertrauensperson bei der sie spüren, sie ist „auf ihrer Seite“ zurück zu ihrem Bauchgefühl finden können. Und dass sie die Erfahrung machen können, dass das Leben mit behindertem Kind mit Sicherheit anders ist als geplant (zumindest in manchen Hinsichten), aber dass es kein Leben „alleine“ ist.

 

Natürlich begleite und berate ich auch viel zu konkreten Anliegen, wie Essen, Trockenwerden, usw. Aber eigentlich sind das nur die Situationen im Alltag, in denen sich der Stress und die Sorgen der Eltern oft bündelt. Beim Essen sind dies beispielsweise Themen wie „Mein Kind muss mehr essen, damit es zunimmt und nicht noch mehr Gewicht verliert.“. Wusstet ihr, warum wir uns bei Kindern so große Sorgen um die Gewichtszunahme machen? Der Ursprung dieser Angst liegt darin, dass wir uns Sorgen um das Überleben des Kindes machen. Wir haben eine tiefsitzende Angst, dass das Kind verhungert. Hinter der Angst um Gewichtsabnahme steckt also nichts anderes als der Kampf ums Überleben des Kindes. Bei vielen Familien kommt hinzu, dass dies nicht der einzige und/oder erste Kampf ums Überleben ist. Die Mehrzahl der Familien, die ich betreue, haben die ersten Monate nach einer Frühgeburt im Krankenhaus verbracht. Oder als das Kind bereits 6 Jahre alt war, Wochen im Krankenhaus zur Einstellung epileptischer Anfälle gelebt. Oder weil das Kind die Nahrung über die Sonde ständig erbrochen hat. All dies sind Kämpfe ums Überleben des eigenen Kindes. Solche Kämpfe hinterlassen Spuren. Sie führen dazu, dass der Akku von Eltern immer leerer wird. Und wenn man sich alleine und einsam fühlt, dann werden die Gelegenheiten die Akkus aufzufüllen immer weniger.

 

Wie am Anfang des Beitrages erwähnt, hatte ich das Gefühl im Rahmen meiner Arbeit in Ambulanten Diensten dem Bedürfnis der Eltern ihre Akkus aufzufüllen und sich nicht mehr so alleingelassen zu fühlen, nicht gerecht werden zu können. Damit möchte ich die Arbeit, die Träger leisten keineswegs kritisieren oder in ein schlechtes Licht rücken. Ich habe lediglich für mich erkannt, dass mir hier Grenzen gesetzt werden, die mich gestört haben. Am Ende des Tages bin ich oft nach Hause gekommen und habe mir gedacht „Das kann doch nicht alles gewesen sein…“

 

Deshalb: Ja, ich begleite heute nicht mehr so viele Kinder wie früher. Und ja, ich habe meine Grenzen im Laufe der Jahre unheimlich erweitern müssen. Ich nehme meine Arbeit nach Hause und es gibt Tage, da kann ich nicht oder nur schlecht schlafen. Und es gibt Tage, an denen komme ich von der Arbeit nach Hause und fühle mich wie nach einem Konzert: Einsam. Denn natürlich ist es ein komisches Gefühl nach 4 Stunden enger Betreuung einer Familie, die dich nicht nur in ihr Zuhause lässt, sondern auch zu einem großen Teil ihres Lebens macht, nach Hause zu kommen. Aber wisst ihr, sich einsam zu fühlen ist nicht immer etwas Schlechtes. Aber sich einsam fühlen „zu müssen“, weil man das Gefühl hat den Weg nicht zu sehen, niemanden zu haben, der einen versteht, ausgeschlossen oder gar diskriminiert zu werden, das ist etwas anderes. Und um einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass Eltern von Kindern mit Behinderung dieses Gefühl nicht mehr so stark haben, arbeite ich heute nach meinen eigenen Regeln.


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Dann schaut gerne auf ihrer Website Elisa Diaz Perez - Beratung für Familie mit Kind mit Behinderung vorbei.

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