Jörn! Unser fast perfektes Leben

Fotograf Daniel Pilar
Fotograf Daniel Pilar

Hallo zusammen, ich heiße Jörn, bin 40 Jahre alt und der Vater einer wundervollen zehnjährigen Tochter und eines großartigen sechsjährigen Sohnes. Und seit September 2020 bin ich leider auch alleinerziehender Witwer.

 

Aber beginnen wir am Anfang unserer Reise, aber nicht erst bei dem Moment, als unser Leben mehr oder weniger auf den Kopf gestellt wurde, sondern etwas weiter vorne. Denn auch wenn ich von der lieben Nicole aka. Prinzessin uffm Bersch eingeladen wurde einen Gastbeitrag meiner Geschichte auf ihrem Blog zu verfassen, ist meine Geschichte natürlich auch die Geschichte meiner verstorbenen Frau Monica.

 

Der Start in ein gemeinsames Leben

 

Moni lernte ich irgendwann im Jahr 1999 im Internet kennen. Wir waren zwei Jahre lang online befreundet, bevor wir uns das erste Mal persönlich trafen. Aber dann ging alles ganz schnell und wir waren eine Woche nach unserem ersten persönlichen Kennenlernen zusammen. Moni war noch 18 und ich grade erst 19 geworden. Wir sind zusammen erwachsen geworden. Wir haben uns gemeinsam unser Leben aufgebaut und uns dabei immer unterstützt. Natürlich lief unsere Beziehung nicht immer wie am Schnürchen, aber anstatt aufzugeben, wenn es mal etwas schwieriger wurde, haben wir daran gearbeitet. Und das hat uns immer nur noch fester zusammengeschweißt. Wir waren ein wirklich eingespieltes Team und jeder wusste fast immer was der andere gerade denkt.

 

Nach neun Jahren haben wir uns dann das Ja-Wort gegeben. Und zwei Jahre später kam unsere Tochter Romy zur Welt. In diesem Moment schien unser Leben zum ersten Mal perfekt. Denn all unsere Ziele, hatten wir in diesem Moment erreicht. Vier Jahre später sollte es dann ein weiteres Mal perfekt werden, denn Moni war mit unserem Sohn Mick schwanger.

 

Doch kurz vor der geplanten Entbindung fühlte Moni eine Verhärtung in ihrer Brust. Sie dachte aufgrund der Schwangerschaft an eine Milchdrüse. Jedoch riet ich ihr diese dennoch bei ihrem nächsten Termin einfach mal bei ihrer Gynäkologie abklären zu lassen. Als ihre Gynäkologie nach einem Ultraschall keine Entwarnung geben und Moni zur Stanzbiopsie schickte, hätten wir vielleicht mal langsam mit dem "Sorgen machen" anfangen sollen, aber das taten wir nicht. Erst als die Frauenarztpraxis bei uns Zuhause anrief und die Ärztin persönlich am Telefon war und Moni noch für den selben Tag zur Besprechung in die Praxis bat, stürzte unsere Mauer aus Naivität in sich zusammen. Unser - bis dahin - perfektes Leben fiel mit nur einem Anruf wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Einen Tag vor der Geburt von Mick.

 

Wenn das Leben von einem Tag auf den anderen, wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzt: Diagnose Brustkrebs

 

Denn Moni war innerlich verständlicherweise vollkommen aufgewühlt, schließlich hatten wir uns alles ganz anders vorgestellt und nie damit gerechnet, dass jemand von uns mal an einer solch furchtbaren Krankheit wie Krebs erkranken würde. Zwar hört man immer wieder mal davon, aber rechnet doch irgendwie nie damit, mal selbst davon betroffen zu sein.

 

An diesem Tag ging Moni jedenfalls nirgendwo mehr hin, legte sich nur noch mit dickem Babybauch ins Bett und bat mich den Termin bei ihrer Gynäkologie abzusagen. Aber das wollte und konnte ich nicht. Ich wusste überhaupt nicht was uns jetzt erwartet, hatte nur den Gedanken, dass es einem Todesurteil gleich käme und wollte einfach nur wissen was wir jetzt tun können - müssen - sollen. Und vor allem wollte ich auch keine Zeit verlieren, weil ich mir dachte, je früher wir anfangen, desto besser werden unsere Chancen sein. Also fragte ich Moni, ob es für sie in Ordnung sei, wenn ich alleine zur Besprechung fahren würde und das war es auch.

 

Am Ende des Gespräches mit ihrer Ärztin, schaffte ich es grade noch mich zu verabschieden, ehe ich im Treppenhaus erst einmal heulend zusammenbrach und mich eine Weile sammeln musste. Es war einfach der pure Albtraum, auch wenn ihre Ärztin mir zu verstehen gab, dass es mittlerweile sehr gute Behandlungen gebe und Krebs nicht gleich ein Todesurteil ist - für mich war es das aber in diesem Moment!

 

Einen Tag später kam dann der Mensch zur Welt, der uns in der bevorstehenden Zeit ganz viel Kraft geben sollte (neben Romy natürlich) - Mick. Und diese Zeit war teilweise so unwirklich, weil man glücklich und traurig zugleich war.

 

Kurz nach der Geburt musste Moni dann zur Tumor OP wieder ins Krankenhaus und ich hielt Zuhause den Laden irgendwie am laufen, was natürlich nicht immer einfach war. Konnte ich nach der Geburt von Romy die Nächte meistens durchschlafen, weil Moni sie stillte, sah das bei Mick dann natürlich anders aus, da war dann mein Typ gefragt - ganz extrem natürlich als Moni im Krankenhaus lag, aber natürlich auch danach, als sie ihre Chemo und Bestrahlung bekam und Ruhe brauchte. Und auch wenn man sich das natürlich nie gewünscht hat, bin ich auf eine Art aber auch dankbar dafür, dass ich auf diese Weise erfahren durfte wie es ist sich so intensiv um sein Kind kümmern zu dürfen, was sonst eben hauptsächlich nur Mütter tun. Natürlich habe ich in den unzähligen Nächten, in denen ich Mick wickeln und mehrmals pro Nacht die Flasche geben durfte, keine Luftsprünge gemacht, aber ich möchte diese Momente für nichts auf der Welt mehr hergeben. Dadurch haben Mick und ich bis heute die Art von Bindung, die sonst vermutlich nur Mütter zu ihren Kindern haben.

 

Auch wenn ich mir wünschte es wäre nie dazu gekommen, so versuche ich doch immer auch aus schlimmen Dingen etwas Positives für mich mitzunehmen. Und das gelingt mir bisher ganz gut.

 

Die nächsten Jahre, nach Monis Chemo und Bestrahlung versuchten wir ein halbwegs normales Leben zu führen. Natürlich war unser Alltag aber ein ganz anderer als vor der Diagnose, die Leichtigkeit fehlte einfach. Auch wenn ich das Thema Krebs im Alltag ganz gut verdrängen konnte, setzte es Moni innerlich ziemlich zu, auch wenn sie es nach außen vielleicht nicht so zeigte. Aber der Krebs und alles was damit einher ging breitete sich immer dann in ihren Gedanken aus, wenn es ruhiger wurde. So schlief sie seit der Diagnose auch fast nur noch im Wohnzimmer auf der Couch, weil sie dort fast die ganze Nacht den Fernseher laufen haben konnte, damit es nicht ruhig wurde und sich die Krebs Gedanken in ihr ausbreiten konnten.

 

Und natürlich zitterten wir uns auch immer von einer halbjährlichen Kontrolle zur nächsten. Und während ich bereits eine Woche vor diesen Terminen das reinste Nervenbündel gewesen bin - weil unser komplettes Leben dadurch wieder auf den Kopf gestellt werden konnte - so ließ Moni sich bis zum Termin fast nie etwas anmerken. Sie war eine absolute Kämpferin!

 

Es half ihr sehr über ihr Leben mit dieser Krankheit in ihrem Blog Mein fast Perfektes Leben zu schreiben. Auch half es ihr sehr sich mit Menschen die ein ähnliches Schicksal teilten, auszutauschen. Vor allem aber half ihr der viele Zuspruch und die Anteilnahme der Menschen, die von ihrem Schicksal erfahren haben und sich ihr mitteilten.

 

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich diese Art damit umzugehen nicht immer nachvollziehen. Gerade was das Schreiben über ihr - aber natürlich auch - unser Leben betraf. Teilweise hatten wir deswegen den einen oder anderen Streit, wenn sie über etwas schrieb, von dem ich nicht wollte, dass fremde Menschen davon erfahren. Aber ich habe sie meistens einfach machen lassen, weil ich sah das es ihr gut tat.

 

Diagnose Metastasen. Über Verdrängung hin zur Akzeptanz

 

Im Juli 2019 wurde Moni dann nach mehreren Wochen, in denen es ihr nicht gut ging, sie aber auch nicht zum Arzt wollte, auf eigenen Wunsch mit dem RTW ins Krankenhaus gebracht. Wenige Stunden später stand unser Leben dann erneut auf dem Kopf, als mir mitgeteilt wurde, dass Moni eine ca. 4x5 cm große Hirnmetastase in ihrem Kopf hat, welche schon am nächsten Tag operiert werden müsse.

Wieder brach ich nach dieser Nachricht heulend auf dem Krankenhausflur zusammen, während ich gefühlt im selben Moment über die Operation aufgeklärt wurde und ihr zustimmen musste, da Moni es schon nicht mehr konnte und auch kaum noch bei Bewusstsein war.

 

Sechs Wochen lag Moni in dieser Zeit im Krankenhaus. Und während ich anfangs noch die Befürchtung hatte, dass sie nach dieser Operation direkt ein Pflegefall sein würde, da meine Vorstellung einer Hirn-OP genau so aussah, sah ich erleichtert, wie Moni von Tag zu Tag selbstständiger wurde und auch keinerlei Defizite davon getragen hatte. Einzig und allein, weil die Ärzte noch den primär Tumor suchten, musste sie noch wegen der vielen Untersuchungen im Krankenhaus bleiben. Und genauso lange habe ich auch gebraucht, um zu akzeptieren, dass dies eine Tatsache ist die man nicht weiter verdrängen kann, was ich fast sechs Wochen über versucht habe. Und dann habe ich mich ganz bewusst mit der Diagnose auseinandergesetzt, sie gegoogelt und mir die Prognosen dazu angesehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir vermutlich nicht gemeinsam alt werden würden. Und vermutlich fing ich auf eine gewisse Weise auch ab diesem Moment an, mich ganz langsam von Moni zu verabschieden.

 

Abschied

 

Ein knappes Jahr später, war es dann auch soweit. Im Juli 2020, einen Tag nach dem vierten Geburtstag von Mick, erhielt Moni die Nachricht, dass die Therapie nicht mehr anschlägt und sie bald sterben wird. Und dann ging es ziemlich schnell. Wir feierten am 30.07. noch mit der Familie unseren zehnten Hochzeitstag bei uns Zuhause und bereits zwei Tage später wurde Moni auf die Palliativstation gebracht, weil sie nicht mehr laufen konnte. Ein paar Wochen später wurde sie dann ins Hospiz verlegt, wo sie im September 2020 friedlich einschlief.

 

Auch wenn man schon eine Weile gewusst hat, dass dieser Anruf irgendwann kommen wird, traf er mich dennoch absolut unvorbereitet. Ich fuhr sofort zu ihr und blieb die ganze Nacht bei ihr im Zimmer. Der Moment in dem ich mich die Zeit davor noch gefragt hatte, ob ich überhaupt in der Nähe Ihres toten Körpers sein - mich aufhalten könne - diese Frage stellte sich überhaupt nicht mehr. Ich wollte einfach nur bei ihr sein...

 

Die ganze letzte Zeit, in der wir uns so oft stritten, weil wir mit der Situation beide absolut überfordert gewesen sind, war in diesem Moment vergessen. Ich verstand plötzlich viele ihrer Äußerungen und Entscheidungen, die ich noch kurz vorher nicht nachvollziehen konnte. Ich bereute auch viele meiner Worte und Entscheidungen, die ich ihr gegenüber geäußert hatte.

 

Ich hatte in diesem Moment meine Seelenverwandte verloren. Die Frau, die ich bereits als halbes Kind kennengelernt, mit der ich gemeinsam erwachsen geworden bin und die Hälfte meines Lebens verbracht habe. Die Frau die immer für mich da war, wenn ich sie brauchte. Und die Frau für die ich alles getan hätte - allem voran den Platz mit ihr getauscht hätte, damit unsere Kinder nicht ohne ihre Mami aufwachsen müssten. Aber das Schicksal hatte andere Pläne.

 

Unser fast perfektes Leben

 

Und nun führen wir schon seit über zwei Jahren ein Leben zu dritt. Und was soll ich sagen? Wir sind schon seit einiger Zeit wieder im Leben angekommen, so wie Moni es sich auch für uns gewünscht hat. Schnell wieder glücklich zu werden. Und das sind wir. Natürlich ist es anders. Und natürlich gibt es keinen Tag an dem wir nicht an Moni denken, aber meistens tun wir dies mit einem Lächeln auf den Lippen.

 

Und wie ich schon schrieb, versuche ich aus allen Dingen immer etwas positives für mich mitzunehmen. Selbst aus dem Tod von Moni habe ich dies geschafft.

 

Wir leben unser Leben viel bewusster als vorher. Wir unternehmen sehr viel gemeinsam, wann immer es uns möglich ist. Mir ist die gemeinsame Zeit mit meinen Kindern am wichtigsten. Ich möchte das sie später einmal zurückblicken und sich trotz unseres Schicksals sagen, dass sie eine wirklich schöne Kindheit gehabt haben und das ich immer für sie da war, wenn sie mich brauchten.

 

Trauer, Verarbeitung, Mut

 

Ich habe nach dem Tod von Moni dann auch selbst angefangen zu bloggen. Über das Leben als alleinerziehender Witwer mit zwei Kindern. Da ich gemerkt habe, dass es mir einfach gut tut, mich auf diese Art anderen Menschen mitzuteilen, aber auch um anderen Menschen in einer ähnlichen Situation zu zeigen, dass das Leben irgendwie weitergeht und man auch wieder glücklich werden kann. Auf der einen Seite denke ich dann immer, dass ich all das nur erreicht habe, weil Moni gestorben ist. Und es irgendwie überhaupt nicht mein Verdienst ist, was sich daraus bisher schon alles ergeben hat. Aber auf der anderen Seite sehe ich eben auch, dass es einfach meine Art ist mit diesen Thema ganz offen umzugehen und die Menschen damit zu gewinnen. Zurückblickend kann ich sagen, dass ich nichts an meinem Leben ändern wollen würde. Schließlich haben mich alle Momente und Dinge zu dem Menschen gemacht der ich nun bin. Und laut meiner Kinder bin ich ein "echt Toller"!

 

Bleibt mir nur noch zu sagen: Danke Nicole für die Möglichkeit mich mit diesem Gastbeitrag auf deinem Blog vorzustellen. Ich schrieb dir anfangs, dass ich ja aber "nur" Angehöriger einer Krebspatientin sei, worauf du erwidert hast: Eines möchte ich einwenden: Du bist nicht "nur" der Angehörige!!! Ohne euch wären wir alle nichts...

 

Und damit hast du natürlich recht. Auch wenn ich nicht ermessen kann, wie immens die Belastung für all die Menschen ist, die an Krebs erkrankt sind, so kann ich zumindest aus Sicht eines direkten Angehörigen sagen, dass die Belastung für uns so riesig ist, dass man sich oft einfach nur wünschen würde, mit dem Betroffenen tauschen zu können. Weil man einen geliebten Menschen leiden sieht ohne irgendetwas dagegen tun zu können. Und so hart es klingt, so war für mich mit Monis Tod auf eine gewisse Weise auch Erleichterung mit dabei, weil der Mensch, den man auf seinem Leidensweg begleitet hat, erlöst wurde. Aber auch, weil man selbst von dieser Last erlöst wurde, die einen psychisch und physisch oftmals an und über seine Grenzen gebracht hat - auch wenn man diese Last jederzeit für diesen Menschen weitergetragen hätte.

 

Ich hoffe, dass ich euch mit unserer Geschichte jetzt nicht den Mut genommen habe, weil Moni es leider nicht geschafft hat den Krebs zu besiegen. Aber Moni hat bis zum Ende eben auch nicht aufgehört zu kämpfen. Es ist die Art und Weise, wie man damit umgeht. Die Art und Weise wie auch wir mit Monis Tod umgegangen sind.

 

An alle von euch, die mit dieser beschissenen Krankheit zu tun haben - egal ob als Betroffener und Angehöriger - ihr seid großartig, für das was ihr täglich leistet und aushaltet! F*ck Cancer!

 

Jörn

 


Ihr Lieben,

 

wenn ihr von Jörn und seiner kleinen Familie ebenso berührt seid wie ich und die drei ein Stück weit in ihrem Leben begleiten möchtet, dann schaut gerne auf Jörns Blog und Accounts in den sozialen Medien vorbei:

 

Moni´s Blick auf das Leben und ihre Krebserkrankung, könnt ihr an dieser Stelle nachlesen: Mein fast perfektes Leben - Wenn man denkt, Brustkrebs ist schon schlimm...


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