Sandra über die Missstände einer Reha für metastasierte Krebspatient:innen

Bildquelle Recover your Smile e.V.
Bildquelle Recover your Smile e.V.

Mein Name ist Sandra und im Jahr 2012 erhielt ich im Alter von 37 Jahren meine Brustkrebsdiagnose. Seit 2019 weiß ich von den Metastasen im Bauchfell und später kam noch ein Metastasenbefall der Knochen hinzu.

 

Dies alles als berufstätige Mutter dreier Kinder zu jonglieren, ist immer wieder eine Herausforderung. Oft gelingt es mir mit Offenheit, den Umständen gut zu begegnen und die Erkrankung als Teil meiner Normalität in den Alltag mitzunehmen. Ein wichtiger Faktor war dabei auch mein Engagement in der Selbsthilfe. Im Austausch mit anderen Betroffenen konnte ich Kraft schöpfen, aber auch für mich und andere etwas bewirken - gegen und mit dem Krebs.

 

Mit Nicole, der Prinzessin uffm Bersch und anderen Patientenexpertinnen, hatte ich vor einigen Wochen eine ausführliche Diskussion in einem AdBoard über das Thema Rehabilitation bei einer metastasierten Krebserkrankung geführt.

 

Reha vor Rente – ein vielleicht etwas altmodisch anmutender Satz und doch ein wichtiger Teil des deutschen Gesundheitssystems und längst nicht in vielen Ländern Standard. Mit einer Rehabilitation ist damit die Wiedereingliederung einer kranken oder behinderten Person in das berufliche und gesellschaftliche Leben gemeint.

 

Nach einer Akutbehandlung wird die Rehamaßnahme meist Anschlussheilbehandlung genannt. Wie ist es aber, wenn die Patient:in noch nicht geheilt ist oder gar nie wieder geheilt werden kann? Wie ist es, wenn die Behandlung nie enden wird? Man denke nur an Schlaganfall- oder Herzpatienten, die lebenslang Blutverdünner nehmen müssen oder Asthmatiker, die auf stets greifbare Medikamente angewiesen sind, um gut zu leben und um am Leben zu bleiben. Leben mit einer chronischen Krankheit und mithilfe der modernen Medizin auch mit einer Lebensperspektive.

 

Nun kann man, je nach Standpunkt im Leben, diese Perspektiven für sich definieren

 

Mal ist sie gefällig und gesellschaftlich anerkannt, mal von der Gesellschaft weniger erwünscht. Doch immer liegt diesen Entwürfen die Aussicht auf ein langes und gesundes Leben zugrunde. Dass wir Menschen so denken und hoffen ist auch ein gewisser Motor im Leben!

 

Manchmal stockt der Motor des Lebens jedoch. Krebs – einer der Getriebeschaden des Lebens! Während nach einer Erstdiagnose im frühen Stadium bei einigen Krebserkrankung die Aussichten gut sind und eine Heilung möglich ist, so ändert sich der Status bei einer metastasierten Krebserkrankung. Meist ist diese dann unheilbar, weil die Erkrankung fortschreitend ist. Manchmal schnell, meist unberechenbar und Unberechenbarkeit passt nicht gut zu Perspektiven aller Art.

 

Metastasierte Krebspatient:innen fallen aus fast allen definierten Umständen für eine wiedereingliedernde Rehabilitationsmaßnahme  heraus

 

Ihre Behandlung ist in diesem Sinne nicht akut und schon gar nicht in Kürze beendet. Mit der Komplexität der lebenslangen Therapien haben wir in Bezug Rehamaßnahmen ein Problem. Oft beinhaltet die Behandlung nicht nur Tabletten, die von der Patient:in selbständig eingenommen werden können, sondern es müssen Spritzen oder Infusionen gegeben werden, sei es als Antikörper, Antihormon- oder Chemotherapie. Diese zu verabreichen ist in vielen Rehakliniken nicht möglich, was oft schon in den Erstinformationen der Einrichtungen zu erfahren ist. Um die Hintergründe dieser notwendigen Praxis zu durchschauen, fehlt es mir an Sachkenntnis. Als Patientin bleiben dennoch Fragezeichen zurück, heißen die Einrichtungen doch meist „Klinik“, die Maßnahmen „Reha“ und selten „Kur“. Doch eben diese Begrifflichkeiten, Zuständigkeiten und Möglichkeiten machen es nicht leichter, ein passendes Angebot zu finden. Rehakliniken haben Schwerpunkte, Konzepte und Zielsetzungen und auch im Bereich der Krebserkrankungen bietet sich ein reiches Spektrum an Einrichtungen. Was bei der Recherche oft erst spät klar wird, dass die Maßnahmen meist auf ein Leben nach der Krebserkrankung abzielen.

 

Eine Krux für sich: Wann gelten wir überhaupt als rehafähig?

  • Unter einer laufenden Chemotherapie ist eine Rehamaßnahme für uns meist nicht möglich!
  • Ist die Betroffene auf Gehhilfen angewiesen? Kann sie die Angebote der Einrichtung dann überhaupt nutzen?
  • Wer bezahlt die Maßnahme, wenn davon auszugehen ist, dass die Patient:in gar nicht mehr berufstätig werden kann?

Wer hat dann noch Interesse an „Reha vor Rente“? Schätze haben ihren Preis. Und wer diesen Schatz bezahlen soll, beginnt zu hinken, sobald man als metastasierte Krebspatient:in eine Reha beantragen möchte. Denn ein Erfolg der Maßnahmen wird sich kaum messen lassen, da die metastasierte Krebspatientin nach der Reha vermutlich nicht wieder arbeitsfähig wird, sie nicht länger leben und vielleicht auch kaum besser leben wird können. Aber sie wird Zeitgeschenke erhalten.

 

Ziele einer Rehabilitation neu definieren

  • Welches Ziel soll eine Rehabilitation haben, wenn die Lebenserwartung durch die Erkrankung statistisch erheblich verkürzt sein wird?
  • Welchen Nutzen haben drei Wochen Reha, wenn Beschwerden dadurch kaum gemildert, schon gar nicht geheilt werden können?
  • Was unterscheidet eine Rehamaßnahme dann von Behandlungen vor Ort?

Bewegung, Kraft fürs Leben, therapeutische Gespräche, Kenntnisse zu Ernährung und Sozialrecht erlangen und nicht zuletzt noch Selbstfürsorge und Entspannung finden – das können vollgepackte drei Wochen sein! Und dennoch können diese drei Wochen für eine metastasierte Patient:in ein Innehalten bedeuten, eine Zeit, in der man sich orientieren kann, wertvolle Impulse erhält, die zu Kraft und Perspektive werden können. Rehamaßnahmen können Schätze sein! Therapeuten, die Zeit haben, die zuhören und Rückmeldung geben können, die eben diesem Krebsleben eine Perspektive bieten können, indem sie Impulse setzen – mit Gesprächen, mit Anwendungen, mit Vorträgen. Eigentlich gar nicht so viel anders, als die Behandlung von Krebspatienten ohne Metastasen. Im Konzept sollte neben einer Wiedereingliederung ins Berufsleben vor allem auch eine Wiedereingliederung ins gesellschaftliche Leben stehen. Im besten Falle noch eine Zielsetzung, die auf ein Leben mit Krebs, nicht nur nach Krebs ausgelegt ist.

 

Wenn der Faktor „Unendlichkeit“ ein anderer ist

 

Man muss sich der Lage bewusst sein und auch den Mut haben, mit der Endlichkeit des Lebens umzugehen. Rehamaßnahmen und Anwendungen, die nicht die Aussicht auf Heilung und Gesundung im Fokus haben, wie soll das gehen? Vielleicht funktioniert es mit Mut, Ehrlichkeit und Respekt. Auch wenn die Erkrankung nie wieder weggehen wird. Sie soll behandelt und gelindert werden in einem geschützten Rahmen, wie das z.B. nur in einer Rehaklinik machbar ist. Wo Psychoonkologen im Rahmen der Anwendungen eingesetzt werden und nicht erst mühsam und mit langer Wartezeit gesucht werden müssen. Wo man als 40jährige Mutter minderjähriger Kinder nicht die einzige Krebspatientin weit und breit ist, sondern auf Schicksalsgenossen trifft. Auch das kann stärken – nicht alleine sein in einem Leben mit Krebs!

 

Nur welchen Nutzen hat nun die Gesellschaft, metastasierte Krebspatient:innen eingliedern zu wollen? Volkswirtschaftlich lässt sich das sicher kaum erheben, sind es doch sehr individuelle Einzelfälle, die metastasiert in Rehakliniken vorstellig werden wollen. Allein beim Beantragen dieser Maßnahmen für uns Betroffene kapituliert im Vorfeld bereits so mancher Sozialdienst.

 

Vielleicht ist der Nutzen einer Rehamaßnahme ja auch der Erhalt eines lebenswerten Zustands. Ein sehr niederschwelliges Rehaziel, aber für manche von uns das wichtigste und schönste Lebensziel: Alles soll so bleiben, wie es ist. Wie lange es so bleiben darf, wissen wir alle nicht. Aber solange die 40jährige Mutter für ihre Kinder da sein kann, ist dies das größte Lebensziel. Solange dein Freund bei dir sein darf, ist er dein Wertvollstes. Oder dein Opa, der seit der Reha wieder Lust aufs Kochen hat, kann er der ganzen Familie Mut schenken. Mut aufs Leben. So soll es bleiben dürfen.

 

Eine Rehabilitationsmaßnahme kann dazu beitragen, dass auch metastasierte Krebspatient:innen eine Stabilisierung der Gesundheit erhalten, sei dies z.B. die Wiederherstellung des Vertrauens an die eigene Leistungsfähigkeit oder an den Wert des eigenen Lebens. Damit können auch die kleinsten Ressourcen aktiviert werden um im Alltag mit Krebs so lange und so gut wie möglich selbständig und zufrieden zu bleiben. Das ist Teilhabe pur. Bringt das der Gesellschaft etwas? Ohne nachzudenken: ja! Denn wir alle sind Menschen. Mitmenschen. Für Menschen!


In Erinnerung an Sandra

 

* 12.05.1975 † 14.03.2024
Zurück bleibt Stille und ein Innehalten!
Erst Anfang 2024 ist Sandra mit der großen Hoffnung ins Jahr gestartet, dass eine neue Therapie Stabilität und Erholung bringen wird. Für mich fühlt sich das gerade erst wie gestern an. Gerade bin ich nochmal unsere Nachrichten durchgegangen, mit ihrer Stimme im Ohr, die so voller Zuversicht und Freude strahlte. Ihre letzte Sprachnachricht galt Justin. Wie gerne sie unsere Storys schaut und sich von seinem offenem Blick und Lebensfreude berührt fühlt.

 

 

Sandra war ein unglaublich lebensbejahender und ermutigender Mensch, mit einem großartigen Blick auf das Leben. Erfüllt von Plänen, Wünschen und Träumen für sich und für ihre drei Kinder.

 

Farewell, liebe Sandra

 


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