Patientenvertreterin und Ehrenamt

Fotograf Malte Joost für die Brustkrebszentrale
Fotograf Malte Joost für die Brustkrebszentrale

Im Mai 2013 hatte ich den Entschluss gefasst, anderen Frauen meine Brustkrebsgeschichte öffentlich zugänglich zu machen. Das war damals eine rein persönliche Entscheidung gewesen, ohne auch nur ansatzweise zu ahnen, in welche Richtung mein Tun als Bloggerin mich eines Tages führen würde. Durch das Thema Zulassung der Genexpressionstests in der Diagnostik im Herbst 2013 und meiner entsprechenden Petition vor dem Deutschen Bundestag, hab ich erstmals ahnen können, dass ich als Bloggerin im Health Care Bereich dazu beitragen kann, Verbesserungen für Brustkrebspatientinnen zu erwirken. In diesem Herbst kommunizierte ich mit vielen Menschen, schrieb hunderte von Mails, habe selten eine Antwort erhalten auf der Suche nach Unterstützung. Aber ich hab Eva von Mamma Mia! Das Brustkrebsmagazin durch diese Aktion kennen und schätzen gelernt, die mir in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Mentorin wurde. Einer so unfassbaren klugen und wunderbaren Frau.

 

In der Patientenbeteiligungsverordnung der Bundesregierung heißt es, dass Patienten ein Stimmrecht haben, wenn es um die gesundheitliche Versorgung geht. Sie sollen bei ihrer Aufstellung unterstützt werden, damit sie sich organisieren und fortbilden können, um in den entsprechenden Gremien ihre Expertenmeinung vertreten zu können. Auf Bundesebene wird ihnen nur eine beratende Funktion zugestanden. Ein Stimmrecht gesteht man ihnen nicht zu. Von Patientenvertretern in Deutschland wird erwartet, dass sie ehrenamtlich tätig sind. Ihnen werden Reisekosten, Verdienstausfall und ein Pauschalbetrag für ihren Zeitaufwand erstattet. Auf der Ebene der Bundesländer hingegen, entfällt eine finanzielle Unterstützung bereits. Selbsthilfegruppen haben die Möglichkeit bei Krankenkassen eine finanzielle Unterstützung zu beantragen, um ihr Engagement finanzieren zu können. Von den Mitgliedern und Leitern, wird eine ehrenamtliche Tätigkeit erwartet. Um ihr Tun aufrechterhalten zu können, sind Selbsthilfegruppen auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Sei es durch Charity von innen oder von außen, durch Veranstaltungen oder durch Unterstützung der Arzneimittelindustrie. Patientengruppen, die von der Arzneimittelindustrie bei ihrem Tun unterstützt werden, sind von politischer Seite von eventuell vorhandenen Beteiligungsprozessen ausgeschlossen, da diese eine industrielle Einflussnahme befürchtet. Das hat mitunter dazu geführt, dass sich die Patientengruppen in zwei Lager aufgespalten haben und letzten Endes der Politik in die Hände spielen, auf Grund ihrer Uneinigkeit innerhalb der zwei Patientengruppen. Dadurch verliert sich ein wichtiger Teil der Patientenstimmen, die nicht zum Tragen auf politischer Ebene kommen und dort schlichtweg - fehlen.

  • In vielen Vereinen und Selbsthilfegruppen kristallisiert sich zusätzlich ein großes Nachwuchsproblem heraus. Das Ehrenamt verliert zusehends an Gewichtung in Deutschland. Wichtige Anreize fehlen, um Nachwuchs zu gewinnen und einen eventuellen Generationenwechsel in den nächsten Jahren vorzubereiten.

Um mehr Einfluss auf politischer Ebene zu gewinnen, ist es unerlässlich, dass Patientenorganisationen untereinander wesentlich mehr Netzwerken. Für ihre Patientenvertreter ist es zudem wichtig, die Rhetorik ihrer Verhandlungspartner in Meetings und Konferenzen anzuwenden (dazu gibt es qualitätsgesicherte Seminare von EUPATI, die mit großem Erfolg in der Praxis umgesetzt werden. Siehe Jan Geissler und Tamàs Bereczky) um dadurch die Interessen ihrer Patientengruppen relevant vertreten zu können. EUPATI bildet dafür Patientenvertreter auf internationaler Ebene aus. Die Europäische Patientenakademie setzt sich dafür ein, dass Patienten, Universitäten, Arzneimittelhersteller und Behörden erstmalig gemeinsam Verbesserungen in der Forschung für den Patienten im Mittelpunkt auf den Weg bringen.

 

Der Bedarf an Patientenexperten im Bereich der Forschung ist gefragt. Wir Patienten WOLLEN und FORDERN zudem, dass MIT uns gesprochen wird und NICHT über uns und wir als Patienten auf politischer Ebene nicht entmündigt werden. Dafür braucht es gut ausgebildete Patientenvertreter, die das Rüstzeug und die Personality mitbringen, sich geschlossen für die spezifischen Patienteninteressen einzusetzen. Die Patientenstimmen sind in der Forschung wichtig, um Studien auf evidenzbasierter Basis voranzubringen und zum Scheitern verurteilte Forschung erst gar nicht zur Zulassung zu bringen. Das ist für uns Patienten auf internationaler Ebene ein enorm wichtiger Ansatz und spart zudem wichtige Ressourcen.

 

Mir als Patientin ist es zudem lieber, ich werde von einer Frau stimmrechtlich vertreten, die weiß um welche Aktualität es bei einer Fragestellung geht und die die Fähigkeit mitbringt, sich mit ihren Gesprächspartner auf Augenhöhe auszutauschen und sich dabei massgeblich für UNSERE Interessen einsetzen kann und nicht eine Person, die alles abnickt was man ihr vorsetzt oder deren Fähigkeiten in grobem Widerspruch zu dem steht, was ihre wesentliche Aufgabe beinhaltet? Dazu braucht es mündige und gut ausgebildete Menschen. Patienten, die zu Experten ihrer eigenen Erkrankung werden. Die sich auf Grund ihres Fachwissens, für sich und andere einsetzen können.

 

Das Problem dabei ist, dass Patientenvertreter stellenweise zu wenig in der Lage sind, sich kompetent und professionell weiterentwickeln zu können. Zu dieser Gruppe zähle ich mich dazu. Als Bloggerin bin ich für mich selbst verantwortlich. Mein Blog ist weder eine Selbsthilfegruppe, noch gehöre ich einer an. Aber mein Blog ist in der Selbsthilfe für Patientinnen und deren Angehörige, zu einer wichtigen Anlaufstelle geworden. Zudem bin ich alleinstehend, versorge und pflege meinen Sohn, der von einer kleinen Grundsicherung lebt. Ich selbst arbeite in Teilzeit in den Stunden, in denen Justin in einer ortsansäßigen Tagesstätte versorgt wird, um unser finanzielles Einkommen zu sichern. Meine Urlaubszeit benötige ich für die Betreuung meines Sohnes in den Ferienzeiten der Tafös. Patientenveranstaltungen kann ich immer nur dann besuchen, wenn ich meinen Sohn sicher versorgt weiß und falls ich mich im Job freistellen lassen kann. Bei vielen Veranstaltungen steht zudem die Frage hinten an:

  • Kann ich mir ein entsprechendes Ticket (Hotel, Anreise, Betreuung für Justin udm.) finanziell überhaupt erlauben?

Die großen Veranstaltungen und Kongresse im Bereich Brustkrebs, sind mir beispielsweise schlichtweg nicht möglich zu finanzieren und noch dazu, sind die wichtigen Vorträge oft nicht für alle Personenkreise zugänglich. Aber das ist genau das, was ich gerne machen möchte. Weil ich weiß, das ich trotz aller Einschränkungen in der Lage bin, für uns etwas bewegen zu können. Ich bin von Herzen froh über JEDE gewonnene MentorIn der vergangenen Jahre und die meine Sichtweise einer Brustkrebspatientin als wertvoll erachtet und miteinander ein Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Wo es mir für UNS möglich ist, neues entstehen zu lassen und wichtige Impulse freisetzen zu können.

  • Und dennoch frage ich: Wie kann es sein, dass in Deutschland mögliche Patientenvertreter ausgeschlossen werden, da sie es sich finanziell und zeitlich nicht erlauben können, sich aktiv für andere Patienten einzusetzen? Ganz gleich, wie gut sie medizinisch ausgebildet sind oder welch andere Qualifikationen sie im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation oder als Juristen mitbringen?

Als ich im vergangenen Jahr auf Jobsuche war, hat mir dieser Punkt nochmal so schwer zugesetzt. Ich hätte zu gerne all das was ich mir in den letzten Jahren in den Bereichen der Patientenbewegung, Ehrenamt und meinen Erfahrungen als Überlebenskünstlerin erwirkt habe, in einer beruflichen Tätigkeit einbringen wollen. Ich darf zwar alle meine Erfahrungen im Ehrenamt ausüben. Sei es als Patientin, sei es als Mutter meines Kindes, sei es als ehrenamtliche Hospizbegleiterin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.

  • ABER: Ich darf all das, was ich liebe zu machen nicht in beruflicher Hinsicht ausüben, weil mir die entsprechenden Qualifikationen fehlen. Und wenn ich dafür als Person menschlich und fachlich noch so sehr geeignet bin. Also bin ich gezwungen kleine Brötchen zu backen, weil mir die Mittel fehlen, mehrstöckige Torten zu backen.

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