Krebs ist eine der herausforderndsten Krankheiten unserer Zeit. Sie betrifft nicht nur die Betroffenen und ihre Familien, sondern hat weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen. In meinem beruflichen Alltag, der die Pflege und den Aufbau von Kontakten zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) umfasst, stoße ich immer wieder auf die zentrale Rolle, die all diese Organisationen - ganz egal ob groß oder klein - im Kampf gegen Krebs spielen.
NGOs engagieren sich auf vielfältige Weise – sei es durch Aufklärungskampagnen, Forschung, die Unterstützung von Betroffenen oder politische Lobbyarbeit. Mein Job verbindet mich mit diesen Initiativen und erlaubt es mir, Netzwerke zu schaffen, die die Kräfte im Kampf gegen diese Krankheit bündeln. In diesem Blogbeitrag möchte ich nicht nur auf die Bedeutung dieser Arbeit eingehen, sondern auch zeigen, wie wichtig starke Partnerschaften im globalen Bemühen sind, Krebs ganz viel Information entgegen zu setzen.
Fangen wir vorne an – bereits als Teenager hatte ich den Impuls, irgendwas mit Medien zu machen. Und ich liebe Sprachen und Musik, insofern fand ich es logisch, recht flott beim Fernsehen als Musikredakteur zu landen. Ich spürte gleich: DAS ist es!
Übrigens, als Teenager las ich in einem Buch über die Hagener Musikszene; da erzählte ein gewisser Jörg A. Hoppe, wie er auf die Idee kam, ein Musikmagazin zu gründen, wie er recht zufällig Musikmanager wurde und somit Vater und Strippenzieher des Erfolges der Band Extrabreit. Das hat mich fasziniert und nie losgelassen.
Als ich dann viele Jahre später erstmalig auf ihn persönlich traf, war ich ziemlich aufgeregt. Am Ende des Gespräches offenbarte ich ihm, was dieses Kapitel über sein Wirken damals bei mir auslöste. Wir freundeten uns an.
Als ich ihn dann unvorbereitet 2017 bei einer Veranstaltung von Weitem sah, war ich schockiert; denn da war nur noch ganz wenig Jörg A. Hoppe übrig, als wenn die Lebensluft teilweise entwichen gewesen wäre.
Kurzum, aus diesem Schock entwickelte sich seine Idee einer digitalen Patienten Community. Hintergrund war, dass er nach Kontakt zu anderen PatientInnen seiner speziellen akuten myeloischen Leukämie (AML) suchte; er hatte aber wenig Geduld auf Stuhlkreise zu warten und beschloss: Da muss es doch eine App zu geben – da es sie nicht gab, war das das erste „Baby“ von yeswecan!cer.
Und ich war so ziemlich von Beginn an ehrenamtlich mit an Board. Es war wiederum so, dass dieses Mitmachen bei unserer digitalen Community etwas auch in mir bewegte. Hatte ich bislang das Gefühl, unheimlich wichtige und publikumsträchtige Dinge im TV gemacht zu haben, wuchs die Erkenntnis: Wirklich nachhaltig befriedigend war das alles nicht. Zumindest nicht auf Dauer.
Schon zur ersten YES!CON bekam ich den Aufbau der Kontakte zu den NGOs anvertraut – DAS waren so viele Gespräche und Begegnungen, die bei mir den Wunsch wachsen ließen: Das würde ich gerne IMMER machen. Echte Menschen, reale Schicksale, unglaubliche Behandlungserfolge und schmerzliche Verluste. All das fasziniert mich bis zum heutigen Tag. Und dass das mal mein Hauptjob in Vollzeit werden könnte – ich hatte es nicht auf dem Schirm – es hat sich glücklicherweise so gefügt.
Ich weiß, dass es Kontroversen um unseren Style, das schreiend Bunte und auch die Partnerschaften mit der Industrie gibt. Deshalb möchten manche Menschen nicht mit mir auf Fotos, deshalb wird mehr oder weniger direkt über uns geredet, nicht immer wertschätzend. Manchmal bedaure ich es, dass die Erkenntnis, dass wir doch idealerweise alle an einem Strang ziehen sollten, dass wir so viele gemeinsame Ziele haben, dass wir uns das alles viel einfacher machen könnten; dass diese Sicht nicht alle erreicht. Aber ok, unsere Welt ist aktuell eh alles andere als unkompliziert, wieso sollte es bei uns anders sein.
Offenheit, Tiefe und die Kunst, das Leben zu feiern
Was mich immer wieder berührt ist die große Offenheit, mit der wir uns begegnen. Das sind nicht nur irgendwelche Freundschaften, die auf der Oberfläche surfen; wir öffnen uns alle, machen uns angreifbar, zeigen Schwächen und schaffen es dennoch, den Silberstreif am Horizont zu sehen. Geben uns Power, ermutigen uns, stärken einander.
Es fällt mir schwer, da Einzelne herauszupicken. Beispielsweise metastasierte PatientInnen: Wie schnell habe ich die Scheu davor verloren, Fragen zu stellen. Es ist doch das Einfachste der Welt, MITEINANDER in die Kommunikation zu gehen, statt ÜBEREINANDER zu reden. Es ist so wie ein Foto ohne Filter und schönendes Ringlicht: Einfach Mut zum Ist-Zustand, Klartext miteinander reden. Kein Bullshit-Bingo austauschen, sondern Tiefe zulassen.
Das verändert auch die Sicht auf das Vokabular, das wir gewöhnlich nutzen. Habe ich mir vorher Gedanken zu Adjektiven wie palliativ zu gemacht? Sicher nicht. Nun weiß ich, was da alles (mit)drinstecken kann, was es wirklich bedeutet und dass so viele Facetten darin stecken. Um es noch einmal auszusprechen: Es geht nie ums Bagatellisieren, es geht um echtes Verstehen, sich Zuzuhören. Und im besten Fall stellt sich sehr schnell wieder Leichtigkeit ein, Fröhlichkeit wird zugelassen.
Das habe ich von ganz tollen Menschen gelernt, die mir vorleben, wie reich und vielschichtig sich Leben anfühlen kann, wenn man es zulässt. Der Schwere nicht den Raum überlässt. Und ich finde, es ist durchaus erlaubt, mal die Normalität und „das macht man halt so“ getrost zu ignorieren. Wir lachen, singen und sind verrückt miteinander, ohne Angst davor, wie andere das wohl finden oder beurteilen. Es ist uns einfach egal, weil wir unsere Momente gemeinsam genießen und nutzen möchten.
Mit einer Freundin schloss ich vor zwei Jahren einen Pakt: Wir möchten gemeinsam ihren nächsten runden Geburtstag erreichen. Und hey, nächsten April 2025 ist es bereits so weit. Ich glaube daran, dass es uns gelingt. Das ist bei metastasierten PatientInnen nicht selbstverständlich.
Wenn die berufliche Tätigkeit zur Berufung wird
Im Grunde hat meine Arbeit mir erlaubt, mein Weltbild komplett neu zu kalibrieren. Ich habe wahnsinnig tolle Kollegen, ich freue mich jeden Tag sie zu sprechen, wieder neue Aktionen zusammen auf die Beine zu stellen.
Manchmal stellen mir Leute, die mich zwar schon ewig kennen, aber unser Kontakt auf Facebook Austausch eingedampft ist im Laufe der Zeit, seltsame Fragen: „Sag mal, warum tust du dir denn freiwillig dieses Thema an?“. Für mich ist die beschriebene Entwicklung völlig natürlich gewesen; Außenstehenden fehlt da manchmal die Phantasie, das Glück darin zu erkennen.
„Und dann ziehst du dir beim Schlafengehen und beim Aufwachen diese ganzen schrecklichen Insta-Stories rein und findest das noch gut – was stimmt bei dir nicht?“. Das habe ich tatsächlich mehrfach zu hören bekommen.
Letzte Woche hatte ich eine inspirierende neue Begegnung: Ich traf bei einer Veranstaltung auf eine Frau, die mir ihre Geschichte erzählte. Dann wollte sie von mir wissen, wie wir unsere Gratis-Angebote finanzieren. Ich antwortete ihr: „Wir pflegen gute, gewachsene und effiziente Partnerschaften zu Unternehmen aus der Pharmabranche.“ Sie sagte: „Das finde ich ja mal erfrischend, dass nicht nur über Pharma und unser Gesundheitssystem gemotzt wird. Ich kann sagen: Die Neuerungen der medizinischen Industrie haben dafür gesorgt, dass ich überhaupt noch hier bin. Als ich irgendwann gefragt wurde, warum ich das Gesundheitssystem vehement verteidige, habe ich meine AOK-Jahresabrechnung mal eingescannt und gepostet mit dem Zusatz: Genau deshalb bin ich dankbar für die Möglichkeit, in unserem System Hilfe bekommen zu haben.“
Das Foto zeigte eine Jahres(!) Abrechnung mit einer sechsstelligen Summe. Noch Fragen?
Am Ende soll es um einen Blick in die Zukunft gehen
Ich glaube, dass wir momentan die Möglichkeit haben, mit der Digitalisierung eine gute Chance haben, die Behandlung von Krebserkrankungen zu verbessern und mehr Menschen zugänglich zu machen. Wir in unserer „Shiny Großstadtbubble“ übersehen oft, dass Behandlungschancen sich alleine schon dadurch, ob ich auf dem Land oder in der Großstadt Hilfe suche, extrem unterscheiden können. Skandalös!
Ich werfe einmal ein Reizwort in die Diskussion: Könnten wir vielleicht schon mehr erreichen, wenn wir mehr über Datensolidarität als über Datenschutz reden?
Ich träume von immer besser aufgeklärten wie auch neugierigen PatientInnen, die auf Augenhöhe mit ihrem Behandlungsteam kommunizieren und auch keine Angst vor Zweitmeinungen haben. Sondern darin eine Chance sehen!
Wenn ich an die nächste YES!CON denke, dann wünsche ich mir da genau diesen Austausch zu den genannten Themen. Die Themen legen wir übrigens gerade fest. Mit großer Begeisterung und flammenden Plädoyers pro und contra im Team. Eine zentrale Rolle wird das Thema Patientensicherheit einnehmen: Ziel ist die Stärkung von KrebspatientInnen durch Aufklärung, Vernetzung und emotionale Unterstützung. Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, das Gesundheitssystem aus Patientensicht sicherer und menschlicher zu gestalten.
Immer deutlicher treten die Herausforderungen hervor
- Standardisierte Behandlungsprotokolle - Einheitliche Leitlinien und evidenzbasierte Standards für Diagnostik und Therapie minimieren das Risiko von Fehlern.
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit - Die enge Kooperation zwischen Onkologen, Chirurgen, Pflegekräften, Strahlentherapeuten und Psychologen fördert eine umfassende und sichere Betreuung.
- Patientenaufklärung - Informierte Patienten sind in der Lage, aktiv an ihrer Behandlung teilzunehmen, Fragen zu stellen und auf mögliche Fehler hinzuweisen.
- Medikationsmanagement - Elektronische Verschreibungssysteme und doppelte Kontrollverfahren helfen, Medikationsfehler zu vermeiden.
- Infektionskontrolle - Strenge Hygienemaßnahmen schützen immungeschwächte Patienten vor Krankenhausinfektionen.
- Schaffung einer Sicherheitskultur - Offene Kommunikation und die Ermutigung von Personal und Patienten, Fehler oder Risiken anzusprechen, tragen zu einer höheren Patientensicherheit bei.
- Aufklärung und Vernetzung - yeswecan!cer bietet Plattformen wie die App YES!APP, über die Betroffene und Angehörige sich austauschen können. Dies stärkt das Wissen der Patienten über ihre Krankheit und ihre Rechte, was indirekt zur Patientensicherheit beiträgt.
- Empowerment der Patienten - Durch die Ermutigung, eine aktive Rolle in ihrer Behandlung einzunehmen, können Patienten besser auf ihre Sicherheit achten, Fragen stellen und bei Verdachtsmomenten intervenieren.
- Anwaltschaft für Betroffene - yeswecan!cer setzt sich für die Bedürfnisse und Rechte von Krebspatienten ein, was auch die Forderung nach sichereren und patientenzentrierten Gesundheitsstrukturen beinhaltet.
- Psychoonkologische Unterstützung - Psychische Stabilität ist ein wichtiger Faktor, um Patientensicherheit zu fördern, da sie den Betroffenen hilft, sich besser auf ihre Behandlungen und deren Risiken einzulassen.
Indem wir offener über Krebs sprechen und einander zuhören, schaffen wir ein Netzwerk aus Mitgefühl, Unterstützung und Verständnis. Jeder Austausch, jedes Gespräch kann der erste Schritt zu mehr Bewusstsein, neuen Perspektiven und vielleicht sogar Lösungen sein. Lasst uns den Dialog fördern und gemeinsam daran arbeiten, eine Zukunft zu gestalten, in der wir der Krankheit nicht nur mit medizinischem Fortschritt begegnen, sondern auch mit menschlicher Verbundenheit und Zuversicht. Denn im Miteinander liegt unsere größte Stärke.
#krebsbrauchtkommunikation
Kontaktmöglichkeit zu André Schlegel: ans@yeswecan-cer.org oder via LinkedIn: André Schlegel